«Mitarbeitende sollten sich Gehör verschaffen.»
Dass die Branche an den strukturellen Konditionen ihrer Berufe schrauben muss, darüber herrscht – spätestens angesichts des akuten Fachkräftemangels – weitgehend Einigkeit. Ebenso klar ist in zwischen, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute nicht mehr allein durch mehr Lohn ködern (und behalten) lassen. Bleibt die Frage: Womit denn dann?
Auf Verbandsebene kämpfen sich die Verantwortlichen diesbezüglich gerade erst aus dem Stadium der x-Punkte-Pläne heraus. Handfeste Ansätze fehlen dabei überwiegend; die Ziele sind schwammig formuliert, konkret ist hauptsächlich der laute Ruf nach Support von staatlicher Seite. Wer sich derweil in der Schweizer Gastrolandschaft umschaut, findet Unternehmer und Unternehmerinnen, die das Problem mit deutlich mehr Tatkraft angehen. Sie denken die krisengebeutelte Branche neu und zeigen vor allem eins auf: Wer im Gastgewerbe derzeit Fachkräfte langfristig für sich gewinnen will, muss diesen ernsthaft empfundene Wertschätzung entgegenbringen. Wir beleuchten drei Betriebe, in denen das auf unterschiedliche Art und Weise geschieht.
Massgeschneiderte Motivation
Dass man sich mit frischen Ideen ein innovatives Jobumfeld schaffen kann, beweist Matteo Moscatellis Geschichte – zumindest wenn man in einer Firma arbeitet, die den Wert von Eigeninitiative als solchen erkennt. The Living Circle ist so ein Unternehmen, und deshalb amtet Moscatelli, der 2019 als Barkeeper in der Zürcher Widder Bar anheuerte, seit Mai dieses Jahres als Group Mixologist. Den Titel trägt er landesweit bislang als Einziger.
Nun steht der 33jährige Italiener also nicht mehr hinter dem Tresen, sondern verbringt seine Arbeitszeit hauptsächlich im für ihn geschaffenen Labor, untergebracht im einstigen Personalbüro des Widder Hotels. Hier tüftelt Moscatelli an Kreationen – unter anderem mit dem Ziel, Foodwaste zu vermeiden, indem er Kaffeesatz, ausgepresste Zitronen oder Bananenschalen verarbeitet. Dabei kommt ihm sein Chemiestudium zugute. Als Group Mixologist unterstützt Moscatelli alle Bartender der zur Hotel- und Landwirtschaftsgruppe gehörigen Betriebe – mit seinem Know-how, aber auch mit der Bereitstellung von Pre-Batched-Cocktails.
Die Idee fürs neue Jobprofil brachte Moscatelli auf, der vergleichbare Konzepte aus London kannte. General Manager Jörg Arnold unterbreitete er den Vorschlag mit einer Reihe guter Argumente. Etwa jenem, dass vom Know-how aus einem hauseigenen Labor alle Bars der Gruppe profitieren. Oder dass sich die Effizienz steigern und Kosten einsparen lassen, wenn Einkauf, Produktion und Planung zentralisiert werden.
Für Head of Human Resources Kristina Tanasic ist in Moscatellis Fall ein entscheidendes Kriterium erfüllt: «Mitarbeitende sollten nicht erwarten, dass ein Betrieb ihr Können oder ihren Einsatz per se erkennt, sondern sich Gehör verschaffen», sagt sie. Und räumt ein: «Das geht aber nur, wenn ein offenes Ohr vorhanden ist.» Den massgeschneiderten Job des Group Mixologist sieht sie als Gewinn auf der ganzen Linie: «Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ein spezielles Talent zeigt, ist es schön, wenn daraus etwas entsteht, wovon beide Seiten profitieren.» Derzeit lege man bei The Living Circle das strukturelle Fundament, um innerhalb der Gruppe mehr solcher individueller Arrangements zu ermöglichen. «Wir müssen uns agiler aufstellen und die Mitarbeitenden in die Gestaltung ihrer Positionen einbeziehen, was uns tendenziell von fix definierten Jobprofilen wegführt», so die HR-Expertin. Entsprechend sei geplant, deutlich mehr in Förderprogramme und Schulungen zu investieren – auch um Fachkräfte mit Führungskompetenzen auszustatten.
Fairness durch Kommunikation
Einen anderen Ansatz verfolgt die Familie Wiesner Gastronomie. Daniel und Manuel Wiesner, die das Unternehmen in zweiter Generation leiten, verkündeten im Februar die Einführung eines neuen Salärsystems. Zentraler Punkt: die Lohntransparenz. «Sie ist eine Frage der Firmenkultur», sagt dazu Manuel Wiesner, «und hat viel mit Wertschätzung zu tun.»
Den Grundstein legten die Chefs im März 2021, als sie in einem ersten Schritt die eigenen Löhne offenlegten. Die Transparenz über die Gehälter aller Mitarbeitenden folgte im Zusammenspiel mit der Definition von neuen Lohnbändern für die einzelnen Funktionsbereiche. Saläre, die darunter lagen, wurden im Zuge dessen angehoben. «Wenn ein Küchenchef, der seit 20 Jahren für uns arbeitet, inzwischen mehr verdient, als für seine Position nun als Maximum definiert ist, haben wir seinen Lohn natürlich nicht gekürzt», so Wiesner. «Aber wir haben klar kommuniziert, dass es für ihn keine Erhöhung gibt, bis sich sein Gehalt wieder im abgesteckten Rahmen befindet.»