«Unbehandeltes Gemüse schmeckt aromatischer, weil es buchstäblich nicht verwässert wurde.»
Regional, biologisch, nachhaltig: Nach diesen Kriterien suchen immer mehr Köche ihre Rohstoffe aus. Meist ist das Bio- oder Demeter-Label Garant für dieses Versprechen, das sie an ihre Gäste weitergeben. Im Zürcher Oberland gibt es einen Jungbauern, der noch einen Schritt weitergeht, sich selbst strengere Vorschriften macht, als sie ihm irgendein Label auferlegen könnte. Matthias Hollenstein, zu dessen Abnehmern eine wachsende Zahl von innovativen Köchen gehört, betreibt auf seinen Gemüse- und Getreidefeldern regenerative Landwirtschaft. Mit seinem Unternehmen Slowgrow ist er Pionier auf diesem Gebiet, das in der Schweiz Neuland ist. «Regenerativ» ist, vereinfacht gesagt, eine Landwirtschaft, die mehr Kohlenstoffdioxid (CO2) aufnimmt, als sie ausstösst.
CO2 ist bekanntlich Ursache Nummer eins für Klimaerwärmung, die zu Umweltkatastrophen führt. Um derlei zu verhindern, muss künftig nicht nur weniger CO2 ausgestossen werden; es braucht auch Mechanismen, die es der Luft aktiv entziehen. Dafür eignet sich eine uralte Kulturtechnik der Landwirtschaft: Humusaufbau. Pflanzen sind in der Lage, CO2 aus der Luft aufzunehmen. Sie scheiden es über ihre Wurzeln in den Boden aus, wo Mikroorganismen das CO2 zusammen mit Pflanzen- und Ernteresten verarbeiten – das nennt sich Flächenkompostierung. Daraus resultiert schliesslich Humus, der das CO2 bindet und sicher im Boden verwahrt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die globalen Landwirtschaftsflächen jährlich mehr Kohlenstoff aufnehmen könnten, als weltweit ausgestossen wird – sofern sie denn regenerativ bewirtschaftet werden. Denn CO2 verbleibt nur dauerhaft im Boden, wenn diesem kein Humus entzogen wird und er immerzu neuen bilden kann. Diese Voraussetzung ist weder in der konventionellen noch in der biologischen Landwirtschaft gegeben.
Hollensteins Maisfeld in Bubikon mutet an wie ein kleiner Dschungel. Es wachsen auch Bohnen, Sonnenblumen und Kürbisse darauf. Diese Mischkultur orientiert sich an der Milpa, einem Landwirtschaftssystem, das die Mayas in Mittelamerika seit Jahrhunderten betreiben. Dabei werden Pflanzen gleichzeitig angebaut und bilden eine vielfältige Mischkultur mit symbiotischen Beziehungen: An der Maisstaude können sich die Bohnen hochranken, diese wiederum versorgen den Mais mit Stickstoff, während die grossen, grünen Kürbisblätter die Erde bedecken. «Die wichtigste Voraussetzung für Humusaufbau ist viel Blattgrün», sagt Hollenstein, «es nimmt am meisten CO2 aus der Luft auf.» Die Kürbisblätter verhinderten ausserdem, dass Humus durch Regen abgetragen werde oder austrockne, weil zu viel Sonnenlicht einfalle. Bei Kulturen, die kein so breitflächiges Blattwerk produzieren wie Kürbisse, etwa Karotten, schützt Hollenstein den Boden mit Holzschnitzeln, Laub und Grasschnitt: «Damit imitieren wir auf dem Feld, wie der Wald seinen Boden regeneriert.»
Am Spätsommermorgen unseres Besuchs werden Randen geerntet. Hollenstein hat Hilfe von Alex Ofner, Koch und Aktivist bei Slow Food Youth. Wenn dieser nicht gerade im Babu’s Bakery & Coffeehouse in Zürich die Kelle schwingt, packt Ofner auf dem Feld mit an. Hollensteins Vision begeistert ihn. Er hofft, dass er demnächst auch seinen Arbeitgeber dafür gewinnen kann. «Allein der Geschmack ist ein schlagendes Argument», sagt Ofner und beisst in eine Karotte. Er lacht: «Die Aromen sind so intensiv, dass man gar nicht so viel essen kann.» Dafür liefert Bauer Hollenstein die wissenschaftliche Erklärung: «Dünger ist salzig. Pflanzen, die damit behandelt werden, speichern unverhältnismässig viel Wasser. Unbehandeltes Gemüse schmeckt aromatischer, weil es buchstäblich nicht verwässert wurde. Und es ist wesentlich nahrhafter.»