«Jawohl, und es hat mich gottlos angegurkt.»
Wie ist es, zu den dienstältesten Gourmetköchen der Schweiz zu gehören?
Nik Gygax: Man merkt, dass man älter, ein alter Sack geworden ist. Man muss im Kopf jung bleiben. Ich habe immer noch Freude am Beruf. Letztes Jahr war ich oft krank, ich musste sieben Mal ins Spital. Das hat die Krankenkasse Unmengen Geld gekostet. Aber ich merkte, dass mir das Kochen, die Beiz und das ganze Zeugs eben doch noch Spass machen. Man muss den Plausch daran haben und sonst sofort aufhören.
Im März feierten Sie im «Löwen» Ihr 30-Jahr-Jubiläum.
Ich war im Spital und musste fünf Stunden auf dem Rücken liegen. Da wird es einem schaurig langweilig. Als ich dann die Nachrichten auf dem Handy checkte, las ich, dass Gammacatering ein Firmenjubiläum feiert. Ich überlegte ein bisschen rum, schaute die Decke an und realisierte, dass ich meinem Vater den «Löwen» vor 30 Jahren abgekauft hatte. Ich habe noch nie einen Geburtstag gefeiert, aber dieses Mal hatte ich Lust dazu.
Wie feiert Nik Gygax so was?
Mit einem kleinen Fischbuffet, so wie früher André Jaeger. Das hatte ich schon seit Jahren vor, traute mich aber nie. Ich habe wirklich «gueti Giele» in der Küche. Ich sagte ihnen, dass sie Gas geben müssen, dass ich nicht wisse, wie es der André Jaeger jeweils gemacht hat, aber dass wir es jetzt einfach so tun, wie ich es will. Es gab 30 verschiedene Gerichte in kleinen Schalen, vier Suppen, 20 angerichtete Fische und am Schluss noch einen Steinbutt aus dem Ofen. Die Leute sind fast ausgeflippt.
Sie lernten das Kochhandwerk noch unter anderen Voraussetzungen.
Ich arbeitete vor allem in den Grand Hotels. Bei den alten Küchenchefs lernte man noch die klassische Küche, so wie man eigentlich kochen sollte. Heute ist halt alles etwas modern geworden.
Was hat sich verändert?
Ich hatte diesbezüglich ein einschneidendes Erlebnis, vor 40 Jahren, im «Palace» in Gstaad. Es war im Winter; ich ging da nur im Winter hin, im Sommer hatte ich keine Lust. Ich hatte einen Vertrag als Chef irgendwas, Tournant war es, glaub ich. Item, als ich dort oben ankam, hing eine Liste in der Küche mit den Posten. Bei mir stand: Chef Entremetier Gygax. Ich ging sofort zum Küchenchef Peter Wyss und sagte ihm, dass er sich jemand anders suchen könne, der das Gemüse rüstet, den Mist mache ich nicht, das sei doch die traurigste Arbeit überhaupt. Wyss war damals ganz neu als Küchenchef, er meinte, ich solle nicht so tun, die Saison beginne doch schon am nächsten Tag.
Und Sie rüsteten eine Saison lang Gemüse?
Jawohl, und es hat mich gottlos angegurkt. Aber in dieser Zeit, das muss ich ehrlich sagen, lernte ich zu kochen. Fleisch in die Pfanne knallen, das kann doch jeder. Wenn das Fleisch gut ist, kann man nicht viel falsch machen. Aber ein gutes Gemüse kochen, das bringt heute fast keiner mehr fertig.
Jetzt übertreiben Sie.
Das glaube ich nicht. Heute wird doch alles in den Steamer geschmissen. Das grüne Gemüse wird entweder braun, oder es war vorher tiefgefroren. Wenn man es richtig macht, also blanchiert und abkühlt, ist es halt mühsam. Und ob dann noch viele Vitamine drin sind, sei dahingestellt, spielt aber auch keine grosse Rolle. Das Essen in einem Restaurant sollte schon gesund sein, aber nicht nur. Es muss einfach gut sein.
Sie halten seit 20 Jahren 18 Punkte im Gault & Millau.
Ich habe mich nie verrückt machen lassen wegen der Punkte. Auf dem Land bringen diese Vor- und Nachteile. Viele kommen nicht ins Restaurant, weil sie sagen, wir seien zu teuer, dafür reisen Auswärtige extra deswegen an. Silvio Rizzi, der ehemalige Chefredakteur von Gault & Millau, wollte immer, dass ich das Haus in ein Speiserestaurant umbaue. Ich sagte ihm, das komme nicht in Frage, das ist eine Dorfbeiz, die gebe ich nicht her.
Und was ist aus der Dorfbeiz geworden?
Heute wird im Bistroteil mehr gegessen als im Gourmetbereich. Früher war das umgekehrt. Aber da konnte man noch rauchen und da sass das «Dorf» im Bistro. Mit dem Rauchverbot und der tieferen Promillegrenze hat sich das total verändert. Ich habe es immer noch schaurig gerne, wenn die vom Dorf zu mir kommen. Ich bin hier aufgewachsen. Aber ich forciere es nicht. Es traut sich ja auch fast niemand mehr, abends auswärts zwei Bier zu trinken.
Sie lebten ja nicht immer nur gesund. Befällt einen nicht die Angst, wenn man plötzlich so oft ins Spital muss?
Nein, das ist noch komisch. Ich fühlte mich im Inselspital einfach gut aufgehoben. Dabei waren die Probleme schon ziemlich massiv. Ich wollte auf keinen Fall operiert werden.
Weshalb?
Vor 20 Jahren wurde ich in Zürich am Herzen operiert und mein Vater einen Tag nach mir in Bern, ebenfalls am Herzen. Bei mir ging es gut, bei meinem Vater wurde eine zweite Operation nötig, während der er starb. So etwas bleibt einem einfach im Gedächtnis. Aber am Ende haben sie mich dann doch operiert. Angst hatte ich aber wirklich keine. Letztes Jahr musste ich auch etwa vier Herzkatheter machen lassen, ich weiss mittlerweile, wie das funktioniert. Es ist nicht so, dass man abstumpft, aber ich nehme es mit Humor und sage mireinfach: Wenn es so weit ist, dann ist es halt so.
Das Restaurant blieb in der Zwischenzeit immer offen.
Die Beiz war das grössere Problem. Nicht alle, aber viele Gäste kommen wegen mir, und wenn man nicht da ist, geht der Umsatz zurück. Gleichzeitig brauchte ich einen zusätzlichen Koch. Das gab mir mehr zu denken als meine gesundheitliche Situation.
Vor drei Jahren schrieben die Zeitungen: Nik Gygax steht vor dem Konkurs.
Das Problem war, dass die Bank ihr Geld, das sie im Restaurant hatte, zurückhaben wollte. Ich musste einen neuen Investor suchen, dem ich einen Zins zahle, so wie vorher der Bank auch. Die Geschichte wäre eigentlich nicht der Rede wert gewesen, aber leider kam es in der Zeitung und wurde in der Region diskutiert.