29.08.2023 Salz & Pfeffer 4/2023

«Wir fordern ein Engagement»

Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Samir Seghrouchni
Alle Hotelkooperationen seien Verkaufsorganisationen, sagt Lenkerhof-Hotelier Jan Stiller. In einem wichtigen Punkt aber unterscheide sich die Vereinigung Relais & Châteaux klar von allen anderen.
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«Wir geben alles Geld, das wir einzahlen, auch aus.»

Zusammen mit Ihrer Partnerin Heike Schmidt führen Sie seit 13 Jahren das Fünf- Sterne-Superior-Hotel Lenkerhof. Was ist die wichtigste Eigenschaft, die es dafür braucht?
Jan Stiller: Der Druck auf die Hotelière oder den Hotelier hat zugenommen. Man muss ein Generalist sein, bei allen Themen, die im Haus wichtig sind. Dazu gehören zuerst einmal der Verkauf und das Marketing, aber auch bei der Mehrwertsteuer, der Luftschutzkellerverordnung oder den Digitalisierungsprozessen sollte man Bescheid wissen. Dann muss man ein guter Gastgeber oder eine gute Gastgeberin sein, am besten sechs Sprachen fliessend sprechen und auch als Leader überzeugen. Die Mitarbeitenden wollen geführt werden, aber anders als früher.

Was meinen Sie damit?
Man muss viel differenzierter auf die Mitarbeitenden eingehen. Früher wusste man, im Spa funktioniert es so, in der Küche denken sie so und in der Hauswirtschaft läuft es nochmal anders. Heute müssen wir vor allen unseren 140 Angestellten wissen, was sie bewegt, wie wir sie motivieren können. Seit Covid-19 haben wir unser Personalbüro auf 300 Stellenprozent verdoppelt und tun wirklich viel dafür, Mitarbeitende zu finden und zu halten. Mit Erfolg, mittlerweile können wir auch wieder unter den Bewerbungen aussuchen.

Als Delegierter repräsentieren Sie seit 2018 die 24 Mitglieder von Relais & Châteaux in der Schweiz und in Liechtenstein. Wie profitiert der Lenkerhof von der Hotelkooperation?
Es gibt viele Vorteile. Relais & Châteaux hat eine andere Reichweite und ist insbesondere bei Schweizer Betrieben ein Türöffner für ausländische Gäste. Dann unterstützt uns die Organisation auch bei der Rekrutierung. Seit letztem Jahr gibt es etwa ein Tool, mit dem wir unter den insgesamt 580 Hotels und Restaurants Personal austauschen können. In Griechenland ist im Winter nichts los, bei uns kann man dafür Geld verdienen. So konnten wir letztes Jahr drei griechische Mitarbeitende verpflichten, die im nächsten Winter wiederkommen. Letztlich gibt es aber vor allem einen grossen Unterschied zu anderen Kooperationen.

Und der wäre?
Bei Relais & Châteaux sind es die Hotelièren und Hoteliers, die entscheiden. Wir sind die Besitzer. Relais & Châteaux ist kein Konsortium, an das wir Mitgliederbeiträge bezahlen, sondern uns gehört die Firma, und die ist auf Nonprofit ausgerichtet. Will heissen, wir geben alles Geld, das wir einzahlen, auch aus. Es gibt keine Investoren, die befriedigt werden müssen.

Was ist Ihre Aufgabe als Delegierter der Schweiz und Liechtenstein?
Ich muss dafür schauen, dass die Geschäftsleitung Schweiz einen guten Job macht: Als Delegierter vertritt man die gesamten Interessen aller Mitglieder der Delegation in Paris, wo unser Hauptsitz ist. Das Ziel ist es, dass die Mitglieder die besten Dienstleistungen erhalten und zu- frieden sind. Zufrieden sind sie, wenn sie direkte Reservationen erhalten. Bei jeder Drucksache von Relais & Châteaux steht immer der Kontakt der Betriebe und nicht jener zur Zentrale im Vordergrund. Alle Aktivitäten zielen immer auf die direkte Buchbarkeit. Die Organisation will nicht von Kommissionen leben. Denn diese machen das Produkt für den Gast nur teurer oder dann aber weniger attraktiv für den Hotelier.

Allerdings ist die Rentabilität der Mitgliedschaft in Zahlen so nicht wirklich messbar.
Stimmt. Es kann sein, dass ein Gast über Booking.com bucht, aber über Relais & Châteaux auf das Haus aufmerksam geworden ist. Darum muss man die Mitgliedschaft auch als Ganzes betrachten. Alle Hotelkooperationen sind letztlich Verkaufsorganisationen, dazu profitieren wir aber auch im Einkauf oder wenn Kreditkartenkonditionen für die ganze Delegation ausgehandelt werden. Stark sind wir in der Gästeerkennung. Wenn jemand einen Account bei Relais & Châteaux hat und bei uns ein Zimmer bucht, habe ich alle seine Daten, und zwar datenschutzkonform. Wir sind die einzige Organisation ausserhalb von Booking.com und den grossen Hotelketten, die so ein System hingekriegt hat.

Wie teuer ist die Mitgliedschaft?
Die Beiträge werden über ein Punktesystem geregelt. Ein Restaurant ergibt eine gewisse Anzahl Punkte, eine Junior-Suite oder eine Villa ebenfalls. So kommt jeder Betrieb auf eine bestimmte Punktzahl. Das Board of Directors, in dem ich Einsitz habe, entscheidet jedes Jahr neu, wie viel ein Punkt kostet. Während Covid-19 hat die Vereinigung massive Nachlässe gewährt, je nachdem, wie schwer ein Hotel in einer bestimmten Region betroffen war. Das fand ich super. Es zeigt den Familienspirit, der bei Relais & Châteaux herrscht.

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Wie viele Hotels oder Restaurants interessieren sich für eine Mitgliedschaft?
Da war ich selbst überrascht. Weltweit ist es durchschnittlich ein Betrieb pro Tag. Pro Jahr werden zwischen 20 und 30 Hotels und Restaurants aufgenommen. Das zeigt, wie stark wir filtern.

Was braucht es für eine Aufnahme?
Es gibt ein paar Killerkriterien. So muss ein Hotel mindestens vier Sterne, ein alleinstehendes Restaurant mindestens zwei Michelin-Sterne haben. Dazu darf der Betrieb nicht bereits in einer konkurrierenden Hotelkooperation sein. Sind diese Voraussetzungen gegeben, muss der Hotelier oder die Hotelière eine Bewerbung schreiben. Da interessieren uns die Beweggründe. Wenn es nur darum geht, vom Verkaufskanal zu profitieren, reicht das nicht.

Was ist Ihnen wichtig?
Wir müssen spüren, dass der oder die Bewerbende Teil dieser Familie sein möchte und bereit ist, überall aktiv mitzumachen. Wer denkt, Rosinen picken zu können, ist bei uns am falschen Ort. So profitieren zum Beispiel alle unsere Mitarbeitenden in jedem Relais-Châteaux-Betrieb von Superkonditionen. Das muss man anbieten. Letztlich fordern wir ein Engagement. Der Familiengeist, die Zusammenarbeit unter den Mitgliedern ist essenziell.

Wie lange dauert es von der Bewerbung bis zur Aufnahme?
Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, ungefähr sechs Monate. Die Prüfung einer Bewerbung wird von Leuten ausserhalb des Landes, in dem sich der Betrieb befindet, durchgeführt. Dazu gehört zum Beispiel ein Mystery-Test und auch mit den umliegenden Betrieben wird gesprochen. Es gibt Bewerbende, die den Prozess drei- bis viermal durchlaufen, bis sie schliesslich aufgenommen werden.

Wie hat sich die Mitgliederzahl in der Schweiz entwickelt?
Wir haben zuletzt vier Betriebe verloren aufgrund von Schliessungen oder Konzeptwechseln. Es gibt aber zahlreiche Interessenten, die im Bewerbungsverfahren sind. Da werden einige neue Hotels hinzukommen. Ziel ist es allerdings nicht, zahlreicher zu werden, sondern die richtigen Häuser aufzunehmen.

Die da wären?
Früher hatte die Vereinigung das Image von verstaubten französischen Schlössern. Das ist definitiv nicht mehr der Fall. Heute besteht die Kooperation aus innovativen Betrieben, deren Basis die Werte sind und nicht die Infrastruktur. Die Spannweite reicht vom grossen Lenkerhof über das kleine, aber feine In Lain Hotel von Dario Cadonau bis hin zum Drei-Sterne-Restaurant de l'Hôtel de Ville in Crissier. Alle verbindet ein Familiengeist, Individualität, eine herausragende Gastronomie und eine hohe Präsenz des Gastgebenden. Diese Gemeinsamkeiten sind entscheidend.

Mit Aktionen wie dem World Ocean Day oder Food for Change engagieren sich die Mitglieder von Relais & Châteaux für Nachhaltigkeit. Wie tief reicht dieses Commitment tatsächlich?
Wir haben seit 2014 eine Nachhaltigkeits-Charta, die jedes Mitglied nicht nur unterschreibt, sondern auch vorlebt. Sehr ähnliche Werte, alle drehen sich um die Relation zwischen Mensch und Natur, hat übrigens der Sinnstifter des Lenkerhofs, Jürg Opprecht, vor 22 Jahren formuliert. Ein Beispiel: Aktuell sitzt in Paris ein Ingenieur, der sich den ganzen Tag nur mit Best Practices im Bereich Nachhaltigkeit beschäftigt. Eine Idee stammt von uns. Wir versuchen, sie nun weltweit durchzubringen.

Erzählen Sie!
Ich finde die Einweg-Slippers in Hotels eine Katastrophe. Mit einem Schweizer Lieferanten haben wir eine Art wiederverwertbare Adiletten entwickelt. Im Lenkerhof können Gäste zwischen Einweg-Slippern und der nachhaltigeren Variante wählen. Wir gehen davon aus, dass ein Paar Re-Use-Me-Slippers, wie wir sie nennen, etwa 37 Paare Einweg-Slipper einspart. Und vielleicht übernehmen das dereinst alle Betriebe von Relais & Châteaux.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Weniger Administration in gewissen Bereichen, etwa der Stellenmeldepflicht, wäre schön. Dann braucht es die Einsicht, dass die Schweizer Gäste zwar super sind, wir aber auch ausländische Gäste benötigen, um den Standort Lenk im Simmental zu entwickeln. Und letztlich wünsche ich mir, dass uns die Natur erhalten bleibt. Als ich hier ankam, haben wir im ganzen Sommer fünf Mal auf der Terrasse abends aufgetischt und die Gäste gingen um 21 Uhr ins Haus, weil es zu frisch war. Jetzt decken wir ab Mai jeden Tag auf. Wenn es nicht regnet, sitzen die Gäste manchmal bis um Mitternacht draussen. Da kann man nicht sagen, dass sich nichts verändert hat.

Jan Stiller (45) ist im Bergrestaurant Bühlberg an der Lenk aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Lehre im Hotel Ermitage in Schönried absolvierte er die Hotelfachschule in Thun. Es folgten verschiedene Kaderpositionen unter anderem in der Flughafengastronomie in Kloten. 2006 übernahm er die Aufgabe des Vizedirektors im Fünf-Sterne-Hotel Storchen in Zürich. 2008 wurde er zum Zürcher Junghotelier des Jahres gewählt. Seit bald 13 Jahren leitet Stiller zusammen mit seiner Partnerin Heike Schmidt das Fünf-Sterne-Superior-Hotel Lenkerhof Gourmet Spa Resort an der Lenk. In dieser Zeit wurde das Haus umfangreich renoviert, unter anderem die Küche des 17-Punkte-Restaurants Spettacolo. Seit 2018 vertritt Stiller zudem als Delegierter der Hotelvereinigung Relais & Châteaux die Interessen der 24 Mitglieder in der Schweiz sowie in Liechtenstein.

Lenkerhof Gourmet Spa Resort, Badstrasse 20, 3775 Lenk im Simmental, lenkerhof.ch