«Generell ist das Brennergewerbe spannender geworden.»
Vor 28 Jahren übernahmen Sie die Brennerei von Ihrem Vater. Welches Erlebnis bleibt Ihnen in besonderer Erinnerung?
Lorenz Humbel: Kurz nachdem ich angefangen hatte, ging unser grösster Kunde Konkurs. Da merkte ich, dass ich nun wirklich alleinverantwortlich bin. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich, als die erste Rechnung der Alkoholverwaltung über rund 100000 Franken kam.
Sie zögerten, den Betrieb zu übernehmen.
Ich war 22 Jahre alt und kellnerte in Italien, als der Anruf der Eltern kam. Ich wusste nicht recht, was ich beruflich machen möchte. Auch das Schnapsbrennen war damals noch nicht so in. Aber ich hätte es schade gefunden, wenn die Brennerei nicht mehr in Familienhänden ist. Heute bin ich froh über diese Entscheidung, auch wenn es manchmal hart war.
Apropos hart: Wie haben Sie die Liberalisierung erlebt?
Wir spürten sie zu Beginn der Nullerjahre so richtig. Importspirituosen wie Whisky oder Rum waren plötzlich sehr viel günstiger, hatten aber nach wie vor ein hohes Prestige, eben weil sie vorher so teuer gewesen waren. Besonders düster sah es beim Kirsch aus, der in der Schweiz zu zwei Dritteln gegessen wird, im Fondue oder in Kirschstängeli zum Beispiel. Innert weniger Jahre sank der Anteil an Schweizer Kirsch von 100 auf 40 Prozent. Für uns war 2005 das härteste Jahr. Mittlerweile haben wir den Umsatz aber wieder mehr als verdoppelt.
Wie das?
Einerseits bauten wir mit dem Import von Spirituosen ein wichtiges Standbein auf, andererseits begannen wir selbst damit, Whisky, Gin und Rum zu brennen. Das hat den Vorteil, dass wir schlechte Obsternten ausgleichen können. Zudem konnten wir mit Bränden in Bioqualität mit unserem deutschen Vertriebspartner Peter Riegel Weinimport eine Nische besetzen.
Sie gelten als Pionier für sortenreinen Kirsch.
1994 machten wir einen ersten Versuch mit Basler Langstielkirschen, von denen wir Gutes gehört hatten. Das Resultat war ernüchternd, doch wir rissen uns zusammen und probierten es nochmals. Im zweiten Anlauf ein Jahr später waren wir zufrieden. Danach kauften und testeten wir sehr viele Sorten, wobei Aroma und Ausbeute die wichtigsten Kriterien sind. Dabei kam uns zugute, dass es kurz darauf eine Sortenzählung gab, mich inspirierte aber auch das Buch «Die Kirschensorten der deutschen Schweiz» aus dem Jahr 1937. Es gibt hierzulande über 800 verschiedene Kirschen.
Wie kommt der sortenreine Kirsch an?
Wir haben aktuell zehn verschiedene Sorten im Angebot, darunter Sauerkirschen wie Schattenmorellen oder Wildkirschen. Durch unsere Spezialisierung merkten die Leute, dass wir etwas vom Kirschenbrennen verstehen. So verarbeiten auch Konditoreien wie Fleischli oder Honold unseren sortenreinen Kirsch. Schön ist, dass Kirsch nicht mehr einfach Kirsch ist: Es wird darüber diskutiert, wie man es vom Wein kennt.
Welche Trends beobachten Sie derzeit?
Gin ist noch immer sehr stark. Der Vorteil ist: Der Brenner kann heute eine Idee haben und morgen steht der Gin, etwas überspitzt gesagt, im Regal. Mit Früchten ist das etwas komplizierter; wenn etwas nicht gelingt, muss man ein Jahr warten. Generell ist das Brennergewerbe spannender geworden und die Leute interessieren sich mehr dafür. Die 30 Plätze für unseren Brennerworkshop im August waren so schnell weg wie noch nie.