«Schlimmer noch: Die Smartwatch versteht auch nichts.»
Geschäftsausflug. Ein Teamevent am Abend: zäme choche, zämeschaffe. In einer dieser zur Eventlocation gepimpten Privatküchen, von denen es bald mehr gibt als Restaurants. Unfreiwillig zäme choche ist ja grausam en vogue im Moment, und die armen Zwangsköche fühlen sich wie Stunden zuvor im Escape Room: Sie wollen fliehen, können aber nicht. Stattdessen wird eine aufgedonnerte, wohlgereifte und umwerfend weibliche Kursköchin die bange Schar heute Abend mit beunruhigend mütterlichem Tonfall zu ihrem persönlichen Sieg führen. Die Unbeholfenen erwarten sanfte Impulse, die Unachtsamen mahnende Hinweise, die Unfähigen Liebesentzug. Für immer.
Es ist Kochhalbzeit, als die Königin dem Zwangssaucier empfiehlt, das gefüllte Roastbeef in den High-end-Ofen zu schieben. Er gehorcht und nimmt erlöst ihr zufriedenes Nicken entgegen. Die Königin ihrerseits blickt nun auf die schweineteure Smartwatch an ihrem Handgelenk und sagt etwas. Der Zwangssaucier horcht hin, versteht im allgemeinen Gewusel der Küche aber nichts. Schlimmer noch: Die Smartwatch versteht auch nichts.
Die Königin blickt prüfend auf das Display, zieht anschliessend ihr Handgelenk hoch, bis sie die Smartwatch beinahe küsst, und wiederholt den Befehl. Nichts geschieht. Bei den weiteren Versuchen werden die Betonungen der Königin klarer, ihre Sprache wird hochdeutscher, ihre Stimme schneidender. Auch ihr wildes Tippen durch die Settings ist nicht von Erfolg gekrönt. So steht die Königin dann mitten in einer Küche, in der es kocht, lacht, scheppert und dampft, und fühlt sich einsam, gedemütigt und verraten von der Smartwatch, auf die sie einst so stolz war. Schnaubend marschiert sie zu einer alten Küchenmaschine mit Drehregler und stellt innert dreier Sekunden einen Timer, der zur richtigen Zeit Alarm schlagen wird.
Das Roastbeef gerät wunderbar. Der Drehregler ist nicht «smart», dafür teamfähig. «Smart» jedoch steht bis heute allzu oft für überfordert, peinlich und gopfertami. Trotzdem werden normale Knöpfe und Regler irgendwann ausgestorben sein, in den Küchen werden geile Teile mit einem Wahnsinnsdesign dominieren, mit Touchscreen, Mikrofon, Kamera, Lautsprecher, darin versteckt Siri und Alexa, auf Kommandos harrend, und davor Menschen, die auf sie einreden, gestikulieren und schimpfen.
Die supersmarte zweite Gerätegeneration wird schon gar nicht mehr gesteuert. Die steuert selber. «Heute Abend um acht Roastbeef für elf», spricht der Commis Saucier am Morgen zum Ofen. «Du kannst dich ganz auf mich verlassen», antwortet der Ofen, kontaktiert Tagesfrigo, Kühlschubladen und weitere smarte Teile und führt mit ihnen zusammen ihren Handlanger durch den Arbeitstag, erinnert ihn rechtzeitig an den nächsten Arbeitsschritt oder führt ihn selber aus, bis das Roastbeef für acht pünktlich um elf bereitsteht statt umgekehrt, und wenn der Koch dann «Scheissdreck» schreit, meldet der smarte Ofen der smarten Mitarbeitertoilette, sie soll schon mal den Sitzring desinfizieren. Sollte der Saucier andernanderntags fristlos entlassen werden, dann nicht wegen des Roastbeefs, sondern weil die smarte Friteuse nicht nur gefilmt hat, wie er der Lehrtochter beim Mittagsservice an den Arsch griff, sondern die Aufnahme auch gleich auf die Smartwatch der Personalchefin übermittelt hat, ziemlich schadenfreudig, die Friteuse hat den geifrigen Saucier noch nie gemocht.
Womöglich lernt der Lehrling der Zukunft noch vor seinem Einsatz auf dem Gardemanger alles über IT-linguistics, über smart speech und über gesturing – und darüber, dass das Wichtigste bei der Mise en Place die Reinigung der Kameras und Sensoren ist. Nur vom Roastbeef versteht er dann nicht mehr viel. Wozu auch? Die Maschinen wissen ja, wie es läuft. Sie werden smarter, der Mensch wird es nicht. Intelligenz und Charakter bleiben wie ehedem, menschliches und soziales Versagen bleibt Alltag – zum zäme Choche und Zämeschaffe gehört nun mal mehr, als nur smart zu sein.
Der neuste Schrei auf dem Markt heisst «Dialoggarer» und kontaktiert nicht mehr den Koch, sondern gleich das Kochgut. Er gart die Speisen mit elektromagnetischen Wellen, misst alle zehn Sekunden, wie viele Wellen das Gargut «geschluckt» hat und wie viele zurückgeworfen, und passt Wellen, Frequenzen und Verteilung entsprechend an. Man steckt Kalbsfilet und Zucchetti miteinander in den Ofen, nach einer halben Stunde ist das Filet zart und die Zucchetti knackig.
Bis in 20 Jahren produziert der Ofen am Vorabend im eingebauten Labor auch das Kunstfleisch selber, das er danach gart, bis es «Ich bin genussfertig!» aus dem Ofen ruft und dem Gast dann von der Platte aus en Guete wünscht. Und sollte das Stück doch mal dank menschlichem Versagen etwas zäher geraten, befiehlt der Ofen den Induktionsstühlen im Restaurant draussen die sanfte elektromagnetische Stimulation der Kaumuskulaturen der ahnungslosen Gäste. Das Paradies ist in Griffweite und Monsieur Tabasco denkt inzwischen ernsthaft darüber nach, ob er nach Abschluss dieser Kolumne nicht noch eine zweite Flasche Beaujolais öffnen sollte.