«Alle applaudierten, obwohl ich bis heute nicht weiss, warum.»
Wieso sind Sie Köchin geworden?
Kseniia Amber: Das war kein bewusster Entscheid, sondern vielmehr ein Zufall. Eigentlich wollte ich Keramik-Künstlerin werden. Einmal besuchten wir Verwandte in den USA. Ich war schrecklich gelangweilt. Um mich aufzumuntern, schickte mich meine Tante in einen Amateur-Kochkurs, organisiert vom Culinary Institute of America. Dort fragten sie mich, wo ich denn so kochen gelernt hätte. Dabei machte ich nur, was mir meine Grossmütter beigebracht hatten. Der Kursleiter empfahl mir daraufhin, eine professionelle Laufbahn in Betracht zu ziehen.
Und das taten Sie?
Genau. Und meine ganze Familie war darüber sehr erleichtert. Ich befand mich damals in einer ziemlich experimentellen Phase, hörte Heavy-Metal-Musik und war ständig inspiriert von irgendetwas. Ich schloss die Kunstschule noch ab und besuchte anschliessend für zwei Jahre das Culinary Institut of America.
Wie wars?
Letztlich realisierte ich schnell, dass ich keine Ahnung vom Kochen hatte. Die Ausbildner waren allesamt Franzosen, die ständig herumfluchten. Die Finger tun mir nur schon weh, wenn ich daran zurückdenke. Aber ich biss mich durch, lernte nebenher noch Englisch. Es war eine gute Schule, aber die Basics muss man sich hart erarbeiten.
Ihre Küche basiert auf jüdischen sowie auch ukrainischen Wurzeln.
In meiner Familie gab es immer ein harmonisches Zusammenspiel zwischen diesen beiden Küchen. Meine Grossmutter stammt aus Lwiw, dem polnisch geprägten Teil der Ukraine. Die Produkte dieser berg- und waldreichen Region haben meine Küche stark beeinflusst. Viele unserer Rezepte stammen ursprünglich aus Polen. Wir haben zahlreiche gemeinsame Suppen und Gerichte, etwa mit Randen oder Kohl. Dazu fermentieren wir fast alles: Äpfel, Tomaten, Pflaumen, Gurken und sogar Wassermelonen. Letztere sind sehr interessant, vor allem mit einem eisgekühlten Schuss Wodka.
Und wie definieren Sie die jüdische Küche?
Jedenfalls nicht über koscheres Essen, das ist eine andere Geschichte. Die jüdische Küche enthält viel Gemüse und basiert auf vielen Resten. Es geht darum, die Natur zu respektieren. In meinen Restaurants verfolgte ich immer eine Zero-Waste-Politik. Nichts sollte verschwendet, alles gekocht werden.
Was genau mögen Sie an Ihrem Job?
Schwer zu sagen. Dass er durch Mark und Bein geht. Beim Kochen kriege ich natürliches Adrenalin. Da brauche ich keine Drogen, keinen Alkohol und keine Zigaretten. Für den Moment, wenn das Restaurant voll ist und die Teller leergefegt zurückkehren, brenne ich.
Wie würden Sie Ihren Kochstil beschreiben?
Nun, ich mache Comfort Food. Essen, das man teilen kann, mit Freunden, der Familie oder Geliebten. Einfach Essen, das einem ein Lächeln entlockt.
Wie beurteilen Sie die Gastronomie in Odessa?
Wir haben fantastische lokale Produkte: Fleisch, Fisch und Gemüse. Die Stadt ist ein interessanter Mix aus griechischen, italienischen, aber auch deutschen und jüdischen Einflüssen. Eine unserer Spezialitäten gleicht zum Beispiel stark dem deutschen Klassiker Bismarckhering. Leider verfügen die meisten Köchinnen und Köche noch nicht über die nötige Ausbildung, um auf gehobenem Niveau zu kochen. Nur schon die Gewissheit, dass man saisonal arbeiten muss, ist nicht wahnsinnig weit verbreitet. Es gibt derzeit auch keine Fine-Dining-Restaurants in der Ukraine, dafür ist es noch zu früh. Aber ich kenne ein paar sehr gute Berufsleute, die sich allerdings mehr im Bistronomy- und Comfort-Food-Stil bewegen. Das ist mir sowieso lieber. Fine Dining ist spannend, ich finde es aber vor allem wichtig, dass mein Essen noch nach Essen ausschaut.
Wie bilden Sie sich weiter?
Vor etwa sieben Jahren absolvierte ich den Online-Kurs Science and Cooking der Harvard-Universität. Der ist gratis, und wenn man alle Lektionen erfolgreich abgeschlossen hat, erhält man sogar ein Zertifikat. Ich engagierte zudem einen Chemielehrer, mit dem ich meine Methodik überarbeitete. Die Wissenschaft geht immer Hand in Hand mit der Küche. Es war wichtig für mich, zu lernen, wie man es richtig macht.
Zum Beispiel?
Im Slow Piggy arbeiteten wir viel mit Barbecue und Charcuterie. Wenn man Fleisch oder Fisch beizt, sollte man die chemischen Reaktionen genau verstehen. Das ist ein grosses Problem in der Ukraine. Oft werden da einfach Teller von Instagram kopiert, ohne dass der Koch oder die Köchin verstehen, wie die Zutaten miteinander korrelieren.