Angezapft

Das Bier-Aussehen

«Wenn ich dich so anschaue, glaube ich fast nicht, dass du gerne Bier trinkst.» Mit diesen Worten wird mir jüngst ein Mikrofon gereicht. Ich darf in meiner Funktion als Präsidentin der Gesellschaft zur Förderung der Biervielfalt einem lokalen Bierverein an dessen Generalversammlung ein Grusswort überbringen. Schnell greife ich zum Mikrofon und kontere die Worte des Vorredners: «Doch, doch, ich trinke gerne Bier. Das darfst du mir glauben.» Auf den missglückten Versuch einer charmanten Überleitung war ich nicht vorbereitet, ich bemühe ein höfliches Lächeln und wende mich rasch meinen Notizen zu.

Die Worte hallen mir auf der Heimfahrt dann nach. Wie hat jemand, der gerne Bier trinkt, denn auszusehen? Ist ein Bierbauch ein Garant für einen biertrinkenden Genussmenschen? Können zierliche Personen mit ihrer Physis ihre Freude am Bier gar nie glaubwürdig zum Ausdruck bringen? Und was mich am meisten umtreibt: Gibt es tatsächlich Menschen, die mich anschauen, und für eine Lügnerin – ja gar Betrügerin! – halten?

Irritiert und belustigt mache ich mich schlau, was das Internet zum Thema Biertrinken und Aussehen parat hält. Der obligat primitive Fund, wenn es ums Thema Bier geht, lässt nicht lange auf sich warten: Ein T-Shirt mit dem Spruch «So gut können Biertrinker aussehen» wird mir zum Kauf empfohlen. Ich lächle müde und suche weiter. «Bier formte diesen schönen Körper», wird mir erneut auf einem bedruckten Shirt weisgemacht. Ich lege das Handy weg. Auf das Internet ist bei dieser schon beinahe philosophischen Fragestellung kein Verlass. Der Frage werde ich in der realen Welt nachgehen müssen.

Ein paar Wochen später erinnere ich mich an die Korrelation von freudigem Biertrinken und Aussehen. Ich sitze in einer Zürcher Bierbar. Flugs schaue ich mich um: Mehrheitlich mittelalte Männer sitzen beim Bier beisammen. Doch es gibt auch zwei Frauengrüppli sowie gemischte Runden. An einem Tisch sitzt ein älterer Mann vor seinem grossen, dunklen Bier. Mein Bier gezapft hat mir zuvor eine junge Frau. Ich sehe mir die Menschen noch etwas genauer an: Manche sind attraktiver, besser gekleidet als andere, andere etwas sportlicher unterwegs. Doch beim Scannen der Menschen erkenne ich je länger je mehr eine Gemeinsamkeit, und nach dem dritten Bier fällt es mir dann wie Schuppen von den Augen. Ich bin zufrieden und mit meinen Bierfreundinnen und Bierfreunden im Reinen: Sie alle strahlen Gelassenheit aus. Genauso subtil, denke ich, sollte das Bier-Aussehen sein. Wundervoll – und allemal gesünder als ein ordinärer Bierbauch.

Carole Gröflin

Präsidentin der Gesellschaft zur Förderung der Biervielfalt
Ausgabe: Salz & Pfeffer 1/2022 / Datum: 08.02.2022


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