Angezapft

Die Hierarchie des Genusses

«Was, du trinkst gerne Bier?» Schon oft habe ich erlebt, dass meine Hingezogenheit zum Gerstensaft für amüsierte Reaktionen sorgt. Es fühlt sich an, als würden das Bier und ich gleichermassen belächelt. Meine Funktion als Präsidentin in «diesem spassigen Bier-Verein» als eine exotische Fussnote in meinem Lebenslauf bewertet. Diese Arroganz stimmt mich traurig, denn sie sagt viel aus über die in der Gesellschaft immer noch stark verankerte Hierarchie des Genusses.

Im Mittelalter war Wein das Getränk der Reichen und Mächtigen. Bier konnte das gemeine Volk selber brauen, und es war zudem nährstoffreich. Das Sprichwort «Bier auf Wein, das lasse sein» meint nicht etwa die Trinkreihenfolge, sondern vielmehr die Rangordnung. Wer erst Bier und dann Wein trank, hatte den sozialen Aufstieg geschafft. Andersherum war der Weg wenig rühmlich. Wer etwas auf sich hält, trinkt auch heute noch Wein – oder gleich Champagner. Biertrinker gelten als sensorisch wenig bewandt, es muss einfach kühl sein. Bier ist das Getränk des einfachen Volkes. Und dieses ist dem ausgeprägten Geschmacksprofil eines Rebensaftes eben nicht gewachsen.

Nun gut, diese Ignoranz sagt mehr über den Geniesser als über das Bier aus. Entsprechend sollten mich herablassende Bemerkungen nicht beeindrucken. Echte Kenner wissen, dass die Geschmacksbreite von Bier weitaus grösser ist als jene von Wein. Sie reicht von sauer über herb, bitter, fruchtig, pflanzlich oder rauchig bis hin zu weich mit Schoggi-, Karamell- und Kaffeenoten. Wein muss man nicht trinken, um ihn zu bewerten. Beim Bier hingegen ist der Nachtrunk für den Gesamteindruck unabdingbar. Das schönste Kompliment an dieser Stelle: «Ich will noch einen weiteren Schluck nehmen.» Dann spricht man von einer grossen «drinkability» – also Süffigkeit. Bier ist ein holistisches Genussmittel, das mehr Rampenlicht verdient.

Auch ich habe nicht immer Lust, nach einem Bier zu greifen. Doch wer behauptet, dieses sei ein minderwertiges Genussmittel, der verliert meinen Respekt. Deshalb rufe ich Sie dazu auf, Ihre Komfortzone zu verlassen und sich am Biergenuss zu versuchen. Beschreibungen wie malzig-süsslich, gut eingebundene Bitterkeit, süffig oder schlank und spritzig dürfen dabei gerne fallen. Auch medial ist die Bier-Anerkennung auf gutem Weg: Kürzlich hat eine Zürcher Tageszeitung in einem Artikel aus meinem Editorial unserer Gesellschaftszeitung zitiert. Gar nicht mal eine so schlechte Resonanz für einen Spass-Verein.

Carole Gröflin

Präsidentin der Gesellschaft zur Förderung der Biervielfalt
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2021 / Datum: 06.04.2021


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