Kulinarische Beute

Linsenwahrheiten

Dominik Flammer

30 Kilogramm Hülsenfrüchte assen unsere Vorfahren im Durchschnitt jährlich, und das noch vor rund 200 Jahren. Auf einige wenige 100 Gramm kommen wir pro Kopf und Jahr heute. In der Gastronomie finden wir die Leguminosen allenfalls noch als Lückenfüller auf einem Salatteller, meistens allerdings aus der Dose. Erst mit dem medialen Hype der orientalischen und der asiatischen Küche werden sie seit einigen Jahren endlich wiederentdeckt, ob als Kichererbsen-Hummus oder als indisches Linsen-Dal. Das ist gut so, denn Hülsenfrüchte sind tief in unserer Ernährungskultur verankert. Choscht- oder Bohnensuppe gehörten in der Schweiz bis weit ins 19.Jahrhundert hinein zu den verbreiteten Gerichten. Die Klöster Einsiedeln oder Engelberg kannten im Mittelalter gar einen Erbsenzehnten oder in Anlehnung an die Fastenzeit auch einen Fastmus-Zehnten für Linsen, Ackerbohnen, Erbsen sowie allerlei Getreide. Während die Ackerbohne durch die aus den beiden Amerikas importierten Gartenböhnchen ersetzt und zur Saubohne abgewertet wurde, wurde die ebenfalls erst seit dem 17.Jahrhundert angebaute grüne Gartenerbse mit dem Beginn der Industrialisierung zum Büchsengemüse degradiert. Sie ist heute in dieser Form noch immer der Liebling unter den Hülsenfrüchten in der Gastronomie. Leider.

Nein, früher war nicht alles besser, schon gar nicht in der Gastronomie. Was sich verändert hat und was den Hülsenfrüchten nun wirklich zugutekommt, ist die neu- und wiederentdeckte Vielfalt an Kräutern und auch an würzigen Ölen, mit denen etwa Platterbsen oder Linsen in den unterschiedlichsten Kombinationen präsentiert werden können – was übrigens auch für die in der Schweiz so typischen Dörrbohnen gilt. Selbst als eingefleischter Omnivore lohnt es sich, in Sachen Hülsenfrüchten Inspiration bei den vegetarischen Köchinnen und Kochkünstlern zu holen. Das Mus aus grünen Erbsen (auch wenn teilweise ebenfalls aus der Dose, obschon Tiefkühlerbsen weitaus besser schmecken) ist seit einiger Zeit ja bereits omnipräsent, mit einem Schuss Kürbiskernöl gewürzt, wenig Pfeffer, einem Hauch Minze und etwas Thymian. Eine der erfreulichsten Kombinationen, die ich in jüngster Zeit im Bergell geniessen durfte, war indes ein Salat mit Linsen, Käferbohnen und Bergeller Rauchkastanien an einer Salatsauce aus Leindotteröl, Zwetschgenessig sowie viel frischem Koriander und Liebstöckel. Ein herbstliches Gericht, das man vielseitig variieren kann. Und wer es dann doch nicht lassen möchte: Eine Wildwurst passt da bestens dazu.

Dominik Flammer

Autor, Ernährungsforscher und Betreiber der Agentur Public History Food, Zürich
Ausgabe: Salz & Pfeffer 7/2020 / Datum: 24.11.2020