Ausgefressen

Trauerspiel im Morgengrauen

Martin Hablesreiter

Fremde Betten sind fantastisch. Ich liebe es, in Hotels zu schlafen. Das ist fast so schön, wie in Restaurants zu essen. Manchmal geht das sogar in Kombination und ich gebe zu, dass ich vergangenen Sommer viel nachholen musste, was ich während der Lockdowns versäumt hatte. Es war grossartig. Gastlichkeit ist eine der schönsten Erfindungen der Menschheit.

Leider bieten viele Herbergsbetriebe auch eine der ungastlichsten Erfindungen überhaupt an: Jeden Tag gleich in der Früh kommt das ultimative gastronomische Trauerspiel. Es ist zum Heulen, doch das Frühstück, diese gastronomische Urlust, wird als Drängelei, als Rennerei, als abgestandenes Mittelmass missverstanden. Es gäbe nichts Schöneres, als den Anbruch des Tages mit frisch zubereitetem, gutem, vielleicht sogar lokalem Essen und sorgfältig gemachtem Kaffee zu beginnen. Stattdessen wartet das Buffet. Abgestandenes, grünliches Rührei, Schinken mit verhärteten Rändern, aufgeblähtes Industriegebäck und so weiter. Das Angebot wird ständig von Mitesserinnen schön unappetitlich durchgeackert. Und zur Krönung warten Kaffeeautomaten.

Hin- und hergeschoben zwischen anderen überforderten und gierigen Gästen wird das Frühstück zur Folter. Wie oft rennen die Mitglieder der Tafelgemeinschaft zwischen Tisch und Buffet hin und her, um Vergessenes nachzuholen? An Gespräche ist ebenso wenig zu denken wie an Atmosphäre oder Genuss. Wie oft versuchte ich schon, einen Espresso zu bestellen? Im besten Fall wurde ich auf Mehrkosten verwiesen. Meine Güte!

Ein Frühstücksbuffet ist nur frustrierend. Mehr noch: Es ist die Ausgeburt der Verschwendung. Buffets suggerieren den Luxus absoluter Völlerei. Alles ist zu haben. Totale Verfügbarkeit wertet aber auch radikal ab. Was ich mir permanent und grenzenlos holen kann, darauf muss ich nicht achtgeben. Das Essen kann bedenkenlos stehen gelassen und später in der Küche in die Tonne überführt werden. In Österreich liegt der Food-Waste-Anteil bei Frühstücksbuffets bei bis zu 40 Prozent. Zudem benötigt jeder Gast während eines Buffet-Frühstücks bis zu vier komplette Gedecke, die abgeräumt und -gewaschen werden müssen, was eine Verschwendung von Essen, Energie, Wasser und Arbeit ist. Ehrlich gerechnet, könnten in vielen Häusern gleich mehrere Kellnerinnen allein übers Einsparpotenzial beim Food Waste eingestellt werden.

Was mich noch mehr ärgert als das Buffet selbst, ist die fadenscheinige Erklärung vieler Gastronomen, dass Buffets eben gefragt seien. Ich persönlich durfte nie entscheiden, ob ich Automatenbrühwasser einem Kaffee vorziehe. Mich fragte keiner, ob ich drängelnd und fluchend die Arbeit des Servierpersonals selbst übernehmen wolle. Mir ist ja durchaus bewusst, dass die Personaldecken dünn und die Kosten ein Thema sind. Aber bitte, liebe Gastronominnen: Verwechselt mangelnde Kreativität und nicht vorhandenen Willen zur Veränderung nicht mit dem angeblichen Willen der Gäste. Wir wollen nämlich Qualität.

Martin Hablesreiter

Fooddesigner
Ausgabe: Salz & Pfeffer 5/2021 / Datum: 12.10.2021