Verantwortung to go
Das Studienjahr 1999/2000 verbrachten meine Partnerin Sonja Stummerer und ich in London. Dort las ich mindestens einmal pro Woche «Asterix bei den Briten», das neben «Asterix bei den Schweizern» ein absolutes Lieblingsheft von mir ist. René Goscinny und Albert Uderzo hatten eine sehr feine Klinge. Ihre Beobachtungen einer Gesellschaft und ihre Antworten auf kulturelle Eigenheiten haben uns und unsere Arbeit sehr geprägt.
Was hat das jetzt mit diesem Magazin, also mit Essen, zu tun? Well, der Druide Miraculix fragt Teefax, den britischen Vetter von Asterix, ob er den Zaubertrank zur Rettung seines Dorfes zum Mitnehmen wolle, nicht wahr? Als ich diesen Witz verstand, pinkelte ich mich eine halbe Stunde lang beinahe an vor Lachen. Um die Jahrtausendwende kannte ich aus Wien weder die Frage «For here or to go?» noch die Idee, fertig zubereitetes Essen mit nach Hause zu nehmen. Okay, es gab den Pizzaservice. Selten aber hatten wir diese Zustellerei in Anspruch genommen. Die Pizzen waren grauenhaft. Kaugummi mit Oregano-Aroma. Schreckliche Erinnerungen. Umso mehr irritierten mich meine britischen Studienkollegen, die permanent Red Prawn Curry oder Fish and Chips im Wegwerfgeschirr mit Plastikbesteck verzehrten. Dabei waren mir damals die dreieckigen Sandwichverpackungen aus Kunststoff schon zu viel.
Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Essen to go eines Tages auch auf dem Kontinent Alltag werden würde. Mittlerweile leuchten unsere Augen, wenn der Fahrradbote mit seinem eckigen Thermorucksack aus dem Lift steigt. Er bringt einen dampfenden Papiersack. Es riecht nach chinesischem, thailändischem oder sri-lankischem Essen. Ein Fest. Freudig erregt packen wir unzählige Wegwerfgegenstände aus. Meterweise Frischhaltefolie, Dutzende kleine und sehr kleine Plastikschüsseln, Einwegstäbchen, Papierservietten, Kartonboxen und Styroporschachteln. Viel Sondermüll. Was hat die Pandemie aus uns gemacht?
Auch nach Covid-19 werden die orange oder grün gekleideten Fressboten im Stadtraum bleiben. Jeden Abend wird vor unzähligen Haustüren dampfendes Essen abgestellt werden. Abgeholtes oder Geliefertes wird zur Gegenrealität des gepflegten Gastronomiebesuchs. Aber genau diese Gastronomen, die künftig einen Teil ihres mehr oder weniger guten, mehr oder weniger nachhaltigen Essens in die Wohn- und Esszimmer ihrer Umgebung verschicken, sollten sich Gedanken über die Verantwortung dieses Tuns machen. Es gibt Alternativen für Wegwerfprodukte. Das Weckglas kannte bereits unsere Grosselterngeneration. Geile Dosen oder schönes bruchfestes Geschirr lassen sich gestalten. Gute Designer gibt es überall. Es kann sogar über Bezahlmethoden ohne Kreditkarte nachgedacht werden. Muss ja nicht sein, dass globale Finanzkonzerne an jeder Portion mitverdienen. Und es gibt Möglichkeiten, die Rezepturen nachhaltiger zu gestalten. Jene Zutaten, die bis vor der Pandemie unschicklich – also Foodwaste – waren, machen sich im Glas vielleicht ganz gut. Steaks lassen sich eh nicht so gut ausliefern. Also, liebe Gastronomen, wie immer vertraue ich euch und baue auf eure Kreativität.