Ausgetrunken

Diversität fürs gute Geschäft

Nicole Klauss

Früher war die Welt noch in Ordnung, damals, als die Buchhandlung Bücher verkaufte. Heute gibt es dort auch Gesellschaftsspiele, Schokolade, Pizzaschneider, Geschenkpapier, Gewürzmischungen – die Liste ist lang. Nonbooks nennt sich die Kategorie, und deren Produkte machen bereits bis zu 20 Prozent des Umsatzes im Buchhandel aus.

Und in der Weinhandlung? Da wurden früher Wein, Champagner, Sekte und Spirituosen verkauft. Heute gibt es dort: Wein, Champagner, Sekte und Spirituosen. Oh! Nachdem sich die Umsätze im Onlinehandel seit der Pandemie auf hohem Niveau bewegen, gibt es Diversifikation allerorten, um die Kundschaft (wieder) ins Geschäft zu ziehen. Nur der stationäre Weinhandel ist irgendwie in den Neunzigerjahren hängen geblieben.

Ja gut, da kam vor ein paar Jahren der Orange-Wine-Trend auf, den einige Weinhändlerinnen und -händler noch mitmachten. Er brachte nicht zuletzt eine neue Kundschaft mit sich, die sogenannten Early Adopters: junge urbane Typen, die Getränke jenseits vom Standard suchen.

Aber was genau bietet der Weinhändler Frau Mustermann an, die gerade schwanger ist und auf nicht absehbare Zeit keinen Jahrgangschampagner mehr trinkt? Traubensaft? Oder Rivella? Und dann sind da auch noch die Frauen aus Frau Mustermanns Geburtsvorbereitungsgruppe. Diese gehen dann nämlich irgendwann zur jungen Weinhändlerin fünf Strassen weiter und feiern in den sozialen Netzwerken deren wohl kuratierte alkoholfreie Auswahl mit Uncorking-Reels.

Alkoholfrei und edel ist nämlich sexy, sagt Holger Schwarz, Weinhändler aus Berlin. Er bietet eine grosse Auswahl erwachsener alkoholfreier und vor allem hochwertiger Alternativen in seinem Geschäft sowie im Webshop an – und bestreitet mit den Weinalternativen, die nur fünf Prozent seines Onlinesortiments ausmachen, unglaubliche 20 Prozent des Gesamtumsatzes.

In der Schweiz hat sich die Anzahl der Weinläden in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt – und da ist es doch sicher keine schlechte Idee, sich jenseits von Chasselas und Cornalin eine kleine lukrative Nische zu suchen. Die Konkurrenz schläft bekanntlich nicht.

Vielleicht haben die Weinhändlerinnen und Weinhändler aber auch Sorge, dass ihre Glaubwürdigkeit als ebensolche infrage gestellt wird, wenn sie Alternativen wie Proxies, Kombucha, alkoholfrei destillierte Spirituosen oder sogar entalkoholisierten Wein anbieten? Natürlich kann und soll der Verkauf von Wein das Kerngeschäft bleiben. Aber mal ernsthaft: Was spricht gegen ein Regal in Kassennähe mit einer kleinen Auswahl qualitativ hochwertiger alkoholfreier Alternativen, um neue Käufergruppen zu gewinnen oder bestehende zu behalten? Eben.

Nicole Klauss

Kulinarische Autorin und Gastronomieberaterin, neuetrinkkultur.de
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2023 / Datum: 04.04.2023