Ausgetrunken

Eine Frage der Qualität

Wer im Restaurant alkoholfreie Getränke bestellen möchte, kann sich auf eins verlassen: Alkohol steht an erster Stelle. Wer keinen trinkt, findet den passenden Bereich auf den Seiten hinter den Harddrinks, nämlich bei den Softdrinks. Dort stehen auch die Säfte, wobei oft nur dessen Art angegeben ist (also: Apfel, Orange oder Traube), nicht aber die Herkunft oder der Name der Produktion. Auf die Weinkarte angewandt, sähe die Liste dann so aus: Rotwein, Weisswein, Rosé. Unvorstellbar. Selbst in der Beiz um die Ecke ist auf der Karte mindestens das Land vermerkt, aus dem der Wein stammt. Anders wiederum bei den Tees: Wenn Grüntee auf der Liste steht, welcher ist es wohl? Sencha, Gyokuro, Kabusecha? Sind da womöglich Tees aus Beuteln mit undefinier­barem Inhalt und von unterirdischer Qualität im Angebot?

Bei Säften sind die minimalistischen Infos häufig der mangelnden Qualität geschuldet. Wer möchte schon lesen, dass es sich bei dem Apfelsaft für sechs Franken pro Glas um einen Saft aus einer Mi­schung von unreifen, reifen und vergorenen Äpfeln handelt, mit einer Prise gentechnisch veränderter Enzyme, damit die Saft­ausbeute höher ist? Oder dass der klare Apfelsaft chinesischen Ursprungs ist, die Äpfel dort zur Konzentrat verarbeitet, gelagert und dann klimaneutral in die Schweiz transportiert werden, um hier rekonstituiert zu werden? Eben, niemand.

Allenfalls stehen auf der Getränkekarte auch noch alkoholfreie destillierte Spirituosen. Diese gibts in handwerklich gut gemach­ter Qualität, sodass sie als Bestandteil eines veritablen erwachsenen Drinks ein Gewinn sind. Oder aber eben als unsauber produzierte Aromencocktails mit Boostern für den Alkoholeindruck, die – wie es der Kollege Thomas Vilgis im Rückblick auf seine dies­jährige Dry­-January-­Premiere beschreibt – tatsächlich sensorisch lebensarm wirken. Es kommt eben auf die Qualität an.

Und jetzt kommt das Storytelling ins Spiel: Informationen zum Weingut, zur Lage, zum Terroir, zur Arbeit im Keller gehören zur Weinansprache dazu. Sie liessen sich auch im Kontext von Säften beschreiben, wobei sich die Story mit dem chinesischen Saft aus dem Tetrapak vom Discounter einfach nicht so gut erzählt. Die Geschichte vom sortenreinen Saft einer alten Apfel­sorte, von der Produktion im Kanton, von fair bezahlten Ernte­helferinnen und ­-helfern indes schon.

Um es auf den Punkt zu bringen: Die alkoholfreien Getränke­karten sollten bitte mit der gleichen Sorgfalt kuratiert werden wie die Wein­ und Spirituosenkarten. Restaurants, die sich das Sammeln von Kräutern, Pilzen und Beeren auf die Fahne schrei­ben, tun gut daran, den Ananassaft aus dem Sortiment zu strei­chen und stattdessen eine autochthone Schweizer Quittensorte aufzunehmen. Oder einen Saft aus Wildkirschen, den Orange Wine unter den Säften. Ein bisschen subtile Exzentrik im alko­holfreien Bereich: warum nicht?

Nicole Klauss

Kulinarische Autorin und Gastronomieberaterin, neuetrinkkultur.de
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2022 / Datum: 05.04.2022


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