Ausgetrunken

Von den alten Römern lernen

Das Angebot für Menschen, die zu ihren Speisen etwas trinken wollen, aber nichts Alkoholisches trinken möchten, sah bisher so aus: Mineralwasser, Säfte oder Limonaden, und, wenn es gut läuft, Tee. Selbstverständlich kann Wasser ein prima Speise­begleiter sein – wenn das Mineralwasser passend zum Essen aus­gewählt wird, was selten der Fall ist. Und Säfte oder Limonaden harmonieren hervorragend mit Käse, asiatischen Speisen oder Desserts. So weit, so bekannt. Allerdings sind Limonaden und Säfte süss und machen satt. Als Begleitung zu einem Sechs­-Gänge-­Menü kämen siebeneinhalb Deziliter zusammen, also der Inhalt einer Weinflasche, inklusive einer guten Ladung Säure und vor allem Süsse, die rund 25 Stück Würfelzucker entspricht.

Aber da ist Licht am Ende der Milchstrasse, denn im No­-and­-low­-Getränkeuniversum wurden neue Fixsterne entdeckt: die Proxys. Ein komplexes Gerüst aus Bitternoten, Tanninen und Säure, ergänzt um Fermentationsnoten aus Sauerteig oder Kombucha, Kräutern, Gewürzen und Tee, bringt Volumen und Nachhall in die Getränke, ohne auf Alkohol angewiesen zu sein. Proxys sind selten süss, aber immer hocharomatisch und damit eine bessere Alternative als entalkoholisierte Weine, die meist zu leicht sind, um Speisen erwachsen zu begleiten.

Der Name Proxy ist einem anderen Kosmos entliehen; er stammt aus der IT­-Welt und leitet sich vom englischen Begriff «proxy representative» ab, der den Vermittler zwischen Client und Server bezeichnet. Diese Bezeichnung wiederum geht aufs alte Rom zurück. Das lateinische Wort «procurare» bedeutet «für etwas Sorge tragen». Sprich: Die neue Getränkekategorie kümmert sich um jene, die nach erwachsenen Alternativen zu Wein suchen.

Den alten Römern würden die Proxys gefallen. Zu ihrer Zeit nämlich wurde Wein nie pur getrunken, sondern mit Zimtrinde, Honig, Blütenblättern, Oregano, Thymian, Salz, Pinienharz, aber auch mit Pech, zerstossenem Marmor oder Schwefel aroma­tisiert und mit schneegekühltem Wasser stark verdünnt. Aus den Amphoren wurde dann ein niedrigalkoholisches und aromatisches Getränk geschenkt. In diesem Sinne war der römische Wein der alkoholarme Vorläufer des heutigen Proxy.

Muri aus Kopenhagen oder Ama aus dem Baskenland sind nur zwei Beispiele von Proxy-Produktionen, deren Gründerinnen und Gründer out of the box denken und auf lange Fermenta­tionszeiten, besondere Techniken oder ausgefallene Zutaten wie Geranienblüten, Fichtensprossen und Koji setzen. Das hat seinen Preis, sorgt aber für hocharomatische Ergebnisse im Glas. Proxys sind eine neue Sterne­-Kategorie, sozusagen eine Supernova, die zum Fixstern geworden ist: heller als die anderen Sterne am alkoholfreien Getränkehimmel, erwachsene, eigenständige und besondere Speisebegleiter. Vivat!

Nicole Klauss

Kulinarische Autorin und Gastronomieberaterin, neuetrinkkultur.de
Ausgabe: Salz & Pfeffer 3/2024 / Datum: 04.06.2024


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