Anschnitt

Geschichten über das Pferd

Seit Ende 2019 gehört Pferdefleisch zum kulinarischen Erbe der Schweiz. Die Pressemitteilungen dazu verhallten vielerorts ungehört. Schade, denn Pferdefleisch ist seit Jahrhunderten tief in der Schweizer Esskultur verankert, auch wenn es wenig gegessen wird. Die Tradition liegt im Praktischen. Seit den frühen Jahren des Ackerbaus fungierten Pferde als Arbeitstiere respektive lebende Traktoren. Sie zogen Pflüge, transportierten Waren und dienten nach einem langen Arbeitsleben als Nahrung. Heute werden sie, selbst wenn sie nur als Nutztiere gehalten werden und kaum Medikamente bekommen, kremiert.

Kulinarisch ist Pferdefleisch nicht zu verachten: Die Ausdauermuskeln wurden zu Lebzeiten gut mit Sauerstoff versorgt, das Fleisch ist folglich eine hervorragende Eisenquelle. Die roten Muskelfasern des Arbeitstiers sind dünner und reichlich mit Bindegewebe ummantelt. Das Fleisch vom Pferd benötigt entsprechend eine andere Garbehandlung als jenes von gemütlich auf Weiden grasenden Rindern oder das der faulen Säue.

Viele Traditionsgerichte bauen daher auf tagelanges Einlegen in sauren Marinaden, damit Säuren die Proteine etwas lockern und Enzyme das Fleisch verzarten. Nach dem Schmoren ist der Geschmack top, das Fleisch saftig und mürbe. Auch Grillsteaks aus Pferdelenden gelingen und füllen eine geschmacklich längst vergessene Lücke zwischen Rind und Wild.
Das Fleisch ist tiefrot und kann auf den ersten Blick schon mal mit Rind verwechselt werden, weshalb es bis Mitte der Neunzigerjahre nicht in den herkömmlichen Fleischauslagen verkauft werden durfte. Schwarze Schafe mischten 2013 aus Profitgier Pferd und Rind in Conveniencefood und ruinierten damit den Ruf des raren, aussergewöhnlichen Fleischs. Es wird also Zeit, ab und zu wieder mal aufs Pferd zu setzen.

Thomas Vilgis

Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2021 / Datum: 06.04.2021


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