Anschnitt

Vegi-Charcuterie: Auf zu neuen Wegen

Thomas Vilgis

Gemüse lässt sich zur Charcuterie veredeln: Das hat Esther Kern in der letzten Ausgabe von Salz & Pfeffer appetitanregend erläutert. Vor allem, wenn man dabei an Methoden denkt, die über das übliche Trocknen, Imprägnieren und Aromatisieren hinausgehen. Hierbei zeigen Kojipilze – abseits von Sake, Miso und Sojasaucen – ihre Stärke. Sie verleihen vorgekochtem Wurzelgemüse einen bisher unbekannten Textur- und Aromadreh. Der Pilz fördert nicht nur einen Hauch Süsse zutage, sondern verpasst dem Gemüse einen satten Umamigeschmack. Auch traditionelle Ideen werden verfolgt. Gekochte Gemüse lassen sich auf Salz- und Zuckerbasis beizen und trocknen. Das betont die Eigenaromen und verändert ebenfalls die Texturen.

Am Rohen aber beissen sich Köche die Zähne aus. Weder Beizen noch Koji-Fermentation führen zu befriedigenden Resultaten. Das ist wenig verwunderlich, wenn wir auf die molekulare Skala blicken. Im Gegensatz zu Fleischprodukten fehlt Gemüse und Obst eine geeignete Enzymausstattung, die eine gleichzeitige Reifung unter Beizen erlaubt. Nach dem Erhitzen werden die Pflanzenzellen ausreichend vorgeschädigt, was beim Reifen eine Aromaveränderung bedingt. Auch die Koji-Unterstützung ist bei rohem Gemüse nur bedingt erfolgreich. Der Pilz zerlegt zwar Fett, Stärke und Protein, aber keine Zellwände. Abhilfe versprechen hier Braumalze, deren Enzymspektrum ebenfalls gern am Zellmaterial knabbert – was wiederum zu weiteren Flavourvorläufern führt.

Derartige Ideen erweitern das handwerkliche Potenzial erheblich und lassen den Grundprodukten zur Freude aller Geniesser ihre Charakteristik – ganz im Gegensatz zu den zahlreichen industriell zusammengepappten und zwangsaromatisierten Fleischnachahmern ohne jegliche Signatur der Foodmatrix ihrer Ausgangsprodukte.

Thomas Vilgis

Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ausgabe: Salz & Pfeffer 3/2021 / Datum: 15.06.2021