Anschnitt

Haute Couture zum Aufessen

Silvester soll man es krachen lassen. Also habe ich Mitte Dezember nachgeschaut, was mich eine Reise nach Paris kosten würde. Bahn und Hotel gingen noch, aber die Gastropreise brachten mich an den Rand der Ohnmacht. Sowohl das Eiffelturm-Restaurant Jules Verne als auch der Veteran Tour d’Argent (Aussicht auf Notre-Dame!) verlangten für den 31. Dezember weit über 700 Euro pro Menü und Gast. Ohne Getränke, versteht sich. Betriebe ohne Panoramablick schlugen ebenfalls zu, kalkulierten das Doppelte und Dreifache dessen, was an normalen Abenden fällig wird.

Die Unbescheidenheit zum Jahresende – binnen fünf Jahren kletterten die Pariser Silvester-Menüpreise oft um 25 und mehr Prozente – färbt auch auf den gastronomischen Alltag ab. Waren lange um die 350 Euro für Abendmenüs bei den Top Shots an der Seine einzuplanen, werden nun Grenzen gerissen: Stolze 530 Euro muss man inzwischen bei Guy Savoy für die grosse Speisenfolge zahlen. Ob das angemessen ist, fragt jeder, Amateur wie Profi. Aber was heisst schon angemessen? Erstens wird eh alles teurer, zweitens geht es auch beim Essen um Angebot und Nachfrage, in Frankreich wie sonst wo. Wenn Paul Pairet seine Drei-Sterne-Eventbude in Schanghai gefüllt bekommt, obwohl er pro Gast umgerechnet mindestens 570 Franken nimmt, dann ist das so. Und wenn das Ibiza-Showrestaurant Sublimotion bei seinem Gastspiel in Dubai von jedem Kunden 1260 Franken erbittet – so what? Muss ja keiner hingehen. Wer Köche mit Sinn fürs Geschäft beschimpfte, müsste auch über eine staatliche Subventionierung der Kulinarik reden.

Den Trip nach Paris habe ich trotzdem verschoben. Stattdessen erschien ich pünktlich um 18 Uhr bei Tanja Grandits im Basler Stucki. Zwölf Gänge, sechs Stunden Spass, 330 Franken. Schweizer Bescheidenheit ist sehr sympathisch.

Wolfgang Fassbender

Gastronomie- und Weinjournalist
Ausgabe: Salz & Pfeffer 1/2022 / Datum: 08.02.2022


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