Neue Liebe für alte Sorten

Die Vereinigung Fructus setzt sich für die Wertschätzung seltener und alter Obstsorten ein. Am Obstsortenmarkt lässt sich die Vielfältigkeit von Schweizer Äpfeln und Birnen entdecken, sagt Vorstandsmitglied Peter Enz.
Interview: Andreas Bättig – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 13.09.2024
Liebhaberinnen und Liebhaber können sich im Oktober am Obstsortenmarkt mit seltenen Obstsorten eindecken.

«Unser Hauptanliegen ist es, die Gastronomie mit der unglaublichen Vielfalt einheimischer, saisonaler und regionaler Früchte aus nachhaltiger Produktion vertraut zu machen.»

Was erwartet die Besucher und Besucherinnen am kommenden Fructus-Obstsortenmarkt vom 12. Oktober?
Peter Enz: Wir präsentieren zirka 60 verschiedene Obstsorten mit einem Gesamtgewicht von eineinhalb bis zwei Tonnen. Es ist eine einmalige Gelegenheit, die Vielfalt alter Schweizer Obstsorten zu entdecken und zu geniessen.

Zwei Tage später richten Sie sich speziell an Gastronominnen und Gastronomen. Was ist das Ziel dieses Tages?
Unser Hauptanliegen ist es, die Gastronomie mit der unglaublichen Vielfalt einheimischer, saisonaler und regionaler Früchte aus nachhaltiger Produktion vertraut zu machen. Wir möchten die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten dieser Früchte aufzeigen und das verschiedene Kochverhalten der einzelnen Sorten demonstrieren. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass der Usterapfel, der frisch eher langweilig ist, gedünstet überraschend gut schmeckt.

Dann kann also auch selbst gekocht werden?
Ja, absolut. Wir haben in der Kursküche des Mühlerama die Möglichkeit zu experimentieren. Unser Motto dabei ist: Wir von Fructus kennen die Sortenvielfalt, und die Gastronominnen kennen ihre Geräte zur Verarbeitung. So können wir unser Wissen über die Obstsorten mit der Expertise der Köche in der Zubereitung kombinieren. Das führt oft zu spannenden und innovativen Ergebnissen.

Kommt das öfter vor, dass Äpfel gekocht ganz anders schmecken?
Ja, seit Jahren arbeite ich mit einem Café in Zürich zusammen. Wir haben sechs Apfelwähen gebacken – gleicher Teig, gleiche Glasur, aber verschiedene Apfelsorten. So konnten die Gäste das Backverhalten und den Geschmack der verschiedenen Sorten vergleichen. Als Referenzsorte hatten wir den Boskoop, den viele als Wähenapfel kennen. Meine persönlichen Favoriten sind allerdings die Chevroux Reinette aus dem Welschland und die Baumann Reinette – ursprünglich aus dem Elsass.

Wie können Restaurants ihren Gästen die Besonderheiten alter Obstsorten näherbringen?
Es wäre schön, wenn die Sorten auf der Speisekarte stehen und das Servicepersonal Auskunft geben könnte. Ich habe begonnen, den Restaurants, an die ich Äpfel liefere, einen kurzen Text über die jeweilige Sorte zu geben. So können sie interessante Geschichten zu den Sorten erzählen.

Sie haben viel Erfahrung mit alten Obstsorten. Wie sieht es mit der genetischen Vielfalt bei modernen Apfelsorten aus, die wir im Laden kaufen können?
Die genetische Vielfalt ist tatsächlich ein wichtiges Thema. Denn viele moderne Apfelsorten enthalten das Gen des Golden Delicious. Der Golden Delicious ist eine alte Sorte von 1892 aus Nordamerika, die sich wegen ihrer guten Eigenschaften weltweit verbreitet hat.

Warum ist das problematisch?
Das kann zu Problemen führen, wenn Krankheiten auftreten, die auf dem Golden Delicious-Gen basieren. Wenn viele Sorten dieses Gen haben, könnten sie alle anfällig sein. Das ist ein Risiko für die weltweite Apfelproduktion.

Wie versucht man, diesem Problem entgegenzuwirken?
Die Forschungsanstalten, etwa Agroscope Wädenswil, haben begonnen, alte Sorten für moderne Züchtungen einzukreuzen, um die genetische Vielfalt zu erhöhen. Ein Beispiel dafür ist der Maigold, eine Kreuzung um 1964 aus Golden Delicious und Fraurotacher, einer alten Sorte aus dem Bodenseeraum von 1708.

Und welche Äpfel mögen Sie selbst am liebsten?
Die oft unterschätzten, rauschaligen Früchte mit einem feinkörnigen, festen Fruchtfleisch wie Lederäpfel, Graue Portugiesische Reinette et cetera. Gerne gare ich auch Früchte in einer Gratinform: den Breitacher- und Wildmuser-Apfel. Oder ich brate Apfelstücke mit Fleisch im selben Fett.

Der Markt
Glockenapfel, Usterapfel, Sauergrauech, Berner Rose und all die noch weniger bekannten alten Apfel- und Birnensorten: Wo bekommt man sie noch? Früher waren sie auf den Wochenmärkten üblich gehandelte Früchte, heute sind sie zu Raritäten geworden und werden nur von einzelnen Obstbäuerinnen und -bauern auf Märkten noch angeboten. Einmal im Jahr bietet der Obstsortenmarkt Zürich deshalb eine passende Gelegenheit: Nicht nur am Fructus-Stand, sondern auch an den vielfältigen weiteren Ständen, die sich auf köstliche Weise mit dem Thema Obst(spezialitäten) aus der ganzen Schweiz beschäftigen, warten seltene kulinarische Erlebnisse. Im Angebot stehen verschiedene, sortenreine Apfelkuchen, Moutard de Bénichon, Tarte au vin cuit, verschiedene Baumnusssorten, mehrere Dörrbirnen, Esskastanienprodukte und vieles mehr. Der Obstortenmarkt findet am Sonntag, 12. Oktober im Botanischen Garten der Universität Zürich statt und dauert von 11 bis 17 Uhr.
fructus.ch/obstsortenmarkt

Speziell für die Gastronomie
Am Montag, 14.Oktober findet von 14 bis 17 Uhr zum vierten Mal auch der Gastromarkt für Obstsorten statt. In der Kursküche des Mühlerama in Zürich können sich Gastronominnen und Gastronomen mit der Sortenvielfalt von einheimischen, saisonalen und regionalen Früchten aus nachhaltiger Produktion bekanntmachen, deren unterschiedliche Verwendung und verschiedenes Kochverhalten sowie Fruchtqualitäten im Verlauf der Saison kennenlernen. Gleichzeitig findet ein Fachaustausch untereinander statt.



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