Aus dem Vollen schöpfen

Mit seiner Slow-Food-Alpenküche mischt Markus Schenk die St. Galler Gastronomie auf. Der Südtiroler leistet Aufklärungsarbeit am Tisch, hat aber vor allem eine Mission: Das Essen soll seinen Gästen so viel Spass machen wie ihm das Kochen.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 15.06.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2021
Dexter-Rind, Blumenkohl, Eigelb

«Ich bin ein zufriedener Mensch.»

Sie standen in Ihren jungen Jahren in sehr vielen verschiedenen Küchen: Nach welchen Kriterien wählten Sie Ihre Stationen jeweils aus?
Markus Schenk: Danach, wo ich am meisten lernen kann. Ich suchte mir keine Destinationen aus, sondern Küchenchefs, arbeitete in der Regel in Sterne-Lokalen und lernte unterschiedliche Konzepte und Stile kennen. Nach zehn bis 14 Monaten wechselte ich meistens, tatsächlich wurde mir irgendwann langweilig. Ich war schon immer sehr energiegeladen, arbeitete hart und hatte dabei viel Spass. In der Gastronomie dünken mich die Wanderjahre wichtig: Wenn man nichts sieht, kann man auch nichts lernen.

Gab es in dieser Zeit einen Küchenchef, der Sie besonders prägte?
Da waren viele Leute. Mir gefiel es wirklich überall, und es gab keinen einzigen Arbeitsplatz, an dem ich keine Freude hatte. Ich bin ein zufriedener Mensch.

Seit vier Jahren wirken Sie nun in der Stadt St. Gallen. Wie geht es Ihnen hier?
Die Aufgabe ist natürlich eine Mordsherausforderung, und wir arbeiten ziemlich viel, aber es macht auch einen Riesenspass. Und in Zeiten ohne Pandemie laufen sowohl das Barz als auch das Corso richtig gut; die Restaurants stecken voller Leben, die Gäste freuen sich morgens über frisch gepresste Säfte und guten Kaffee, essen mittags eine Kleinigkeit und abends ein spannendes Menü aus regionalen Zutaten. Das passt schon.

Welche Vorgaben der Eigentümer müssen Sie erfüllen?
Mit der Firma Senn habe ich einen stark verwurzelten Familienbetrieb in St. Gallen an meiner Seite, dessen Inhabern eine nachhaltige, regionale Küche sehr am Herzen liegt. Neben der wirtschaftlichen Betriebsführung spielen die Mitarbeiterzufriedenheit und die Entwicklung des Standorts eine grosse Rolle. Mir persönlich ist wichtig, dass ein Lokal lebt und der Laden brummt, dass die Leute lachen und Freude haben.

So wie Sie am Herd?
Genau. So wie wir alle im Betrieb. Wir sind ein gutes Team, das ist nicht selbstverständlich. Tatsächlich war es die Zusammenarbeit, die mich an der gehobenen Gastronomie immer reizte: Mir gefielen die Kreativität, die in solchen Küchen spürbar ist, und der Gedanke, Teil einer Brigade zu sein. Heute stehe ich vorwiegend in der Corso-Küche, allerdings auf keinem festen Posten, und ich springe über alle drei Betriebe hinweg ein, wo es mich braucht. Die Schlüsselpositionen sind inzwischen aber gut besetzt.

Sie möchten, dass in Ihrem Team jeder alles kann. Warum?
Weil wir so einen schönen Beruf haben; sei das als Koch oder im Service. Da will ich jedem, der hier arbeitet, die Möglichkeit bieten, überall reinzuschnuppern. Man sieht so ja sehr rasch, was den Leuten weniger liegt und was sie besonders gern tun. Ausserdem macht es uns als Team flexibler und lässt sich der Ablauf besser gestalten, wenn jeder alles kann.

Ein Koch sollte also ein Allrounder sein, kein Spezialist?
Erst einmal braucht ein Koch eine sehr gute klassische Grundausbildung und muss handwerklich top sein. Dann finde ich es durchaus sinnvoll, wenn er sich auf einen Posten spezialisiert. Aber danach sollte er überall reinschauen und im Betrieb alles beherrschen. Das macht die Arbeit doch umso spannender.

Dinkel, Aubergine, Alpsbrinz
«Nehmen wir die Familie Züst in Lutzenberg, die ihre Dexter-Rinder mit viel Liebe und ohne jegliches Kraftfutter aufzieht. Dass ich deren Fleisch verwerten darf, macht mich glücklich»: Markus Schenk zu Besuch auf dem Hof.
Bodenseefelchen, Tomaten, Erbsen, Estragon

Sie arbeiten auch bei der Kreation Ihrer Gerichte im Team.
Ja, wir gehen meistens von einer Zutat aus, die uns ein Produzent in den nächsten Wochen in Aussicht stellt, und arbeiten gemeinsam an der Komposition. Mir ist dabei der Eigengeschmack der Lebensmittel wichtig: Ich möchte nicht, dass dieser übertönt wird. Ich brauche auch nicht 100 verschiedene Komponenten auf dem Teller. Drei, vier – das reicht.

Als Sie in die Ostschweiz kamen, mussten Sie Ihr Produzentennetzwerk ganz neu aufbauen. Sind Sie damit heute durch?
Natürlich nicht. Es gibt immer Neues, und ich bin ständig auf der Suche. Es gibt in dieser Umgebung so viel zu entdecken, da kann ich aus dem Vollen schöpfen. Am Anfang war das allerdings gar nicht so einfach: Ich kannte hier ja keinen. Im Südtirol hatte ich ein extrem gutes Netzwerk mit vielen kleinen Produzenten gehabt, ich kannte mich da bestens aus. Ausserdem ist die Region eine Tourismushochburg und sind die Lieferketten entsprechend perfektioniert. In St. Gallen brauchte ich gut eineinhalb Jahre, um etwas aufzubauen, das meinen Vorstellungen entspricht. Inzwischen würde ich aber sagen: Ich bin von der Vielfalt und dem Angebot unserer Produzenten begeistert.

Wie definieren Sie Regionalität überhaupt?
Grundsätzlich ist der Alpenraum mein Revier, und ich gehe quasi im Zwiebelprinzip vor. Zuerst nehme ich, was ich unmittelbar in St. Gallen finde. Dann in der näheren Umgebung. Was ich da nicht herbekomme, beziehe ich am nächstmöglichen Ort. So ziehe ich meine Kreise einfach weiter. Ich verarbeite zum Beispiel auch Kernser Edelpilze aus der Innerschweiz oder Zitrusfrüchte von Niels Rodin aus der Westschweiz – wobei wir da dann schon am südlichen Ende des Alpenraums sind.

Was reizt Sie an diesem Fokus?
Ich bevorzuge es, mit dem zu arbeiten, was ich vor meiner Haustür finden kann. Einen Hummer zu kochen oder einen Thunfisch aus Tokio einfliegen zu lassen, passt nicht zu meiner Philosophie. Abgesehen davon sehe ich den enormen Schatz, den die Gegend hier bietet. Nehmen wir die Familie Züst in Lutzenberg, die ihre Dexter-Rinder mit viel Liebe und ohne jegliches Kraftfutter aufzieht. Dass ich deren Fleisch verwerten darf, macht mich glücklich. Und so ist es auch beim Gemüse: Die meisten meiner Produzenten sind nur einen Steinwurf entfernt, wir kennen und unterhalten uns. Wenn auch die menschliche Ebene passt, intensiviert sich die Zusammenarbeit, das finde ich wichtig.

Und worauf müssen Sie bei Ihrem konsequent regionalen Ansatz allenfalls verzichten?
Auf nichts, ich arbeite ja schon seit 2014 ausschliesslich regional. Entsprechend entwickle ich inzwischen meine Rezepte, plane meine Abläufe. Und ich bin beim besten Willen kein Dogmatiker: Kaffee zum Beispiel ist ein Genuss, den ich meinen Gästen selbstverständlich gönne. Ich habe für mich meine Linie gefunden und nichts zu verstecken. Das verstehen die Leute auch.

Nun ist St. Gallen gastronomisch nicht unbedingt ein innovatives Pflaster. Wie kommt da an, was Sie tun?
Die Leute verstanden mein Konzept nicht auf Anhieb. Aber das Verständnis wuchs, es entwickelte sich ein Bewusstsein. Darum finde ich es so toll, aufzeigen zu können, was man aus den schönen Produkten aus der Umgebung alles zubereiten kann. Wenn ich mit einer Buddhas Hand an den Tisch komme, etwas davon über ein Gericht rasple und erzähle, dass die Frucht fünf Autominuten von Montreux gewachsen ist, sind die Leute ganz überrascht, ziehen ihr Handy aus der Tasche und überprüfen, ob ich die Wahrheit sage. Diese Aufklärungsarbeit schärft nicht nur das Bewusstsein meiner Gäste für gesunde, nachhaltige Ernährung, sondern macht mir und meinem Team auch sehr viel Freude.

Markus Schenk (39) absolvierte seine Kochlehre in mehreren Vier-Sterne-Hotels in seiner Heimat Südtirol. Anschliessend begab er sich auf berufliche Wanderschaft, stand in renommierten Häusern in Deutschland, Österreich, Belgien, Portugal und der Schweiz am Herd. Bei Martin Dalsass heuerte er damals im Santabbondio in der Nähe von Lugano an, bei Pierrot Ayer im Le Pérolles in Freiburg. 2007 lernte er, zurück im Südtirol, seine heutige Frau Lenka kennen. Ein Jahr darauf trat er im Romantik Hotel Turm in Völs seine erste Küchenchefstelle an. Schenk blieb dreieinhalb Jahre, wechselte dann nach Oberbozen ins Parkhotel Holzner. Hier ergab sich der Kontakt zu Gaby und Johannes Senn, den Inhabern des bekannten St. Galler Familienunternehmens im Bereich der Immobilienentwicklung. Sie boten dem Ehepaar Schenk an, am neuen Firmensitz ein Restaurant zu leiten. So packten die Südtiroler Ende 2016 ihre Sachen und zogen in die Ostschweiz. Den ursprünglichen Plan, das Restaurant Corso zu eröffnen, vereitelten bauliche Verzögerungen. Also starteten Schenks im April 2017 im zur Überbrückung zugemieteten Restaurant Barz, das sie bis heute führen. Ende 2019 ging schliesslich auch das Restaurant Corso auf. Zum Portfolio des Unternehmens gehört überdies das Delikatessengeschäft Unikatessen am Corso. Schenk fungiert als kulinarischer Leiter aller drei Betriebe, seine Frau übernimmt die Morgenschicht im Corso und koordiniert das Mittagsgeschäft. Das Paar lebt im appenzellischen Teufen und hat einen fünfjährigen Sohn.

Restaurant Corso
Brühlgasse 37, 9000 St. Gallen
071 511 32 36
restaurant-corso.ch



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