Brücken bauen

Laut Andreas Züllig gehört die Politik nicht zur Grund-DNA eines Gastgebers. Im Interview sagt der Präsident von Hotelleriesuisse, warum sich Hoteliers und Gastronomen dennoch engagieren sollten, und verrät, wie er selbst die Sache angeht.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 10.09.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2019

«Es ist wichtig, sich politisch zu engagieren.»

Inwiefern fühlen Sie sich verpflichtet, als oberster Hotelier des Landes einen Vorzeigebetrieb zu führen?
Andreas Züllig: Es schadet sicher nicht, wenn der Präsident von Hotelleriesuisse einen Betrieb mit einer gewissen Vorbildfunktion leitet.

Ist Ihr Hotel ein Vorbild für andere?
Ich glaube schon. Der Schweizerhof ist konzeptionell klar als Familien- und Wellnesshotel positioniert. Zudem legen wir sehr viel Wert darauf, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig zu arbeiten. Meine Frau und ich wünschten uns immer einen Betrieb, in dem wir selbst gern Ferien machen würden. Und schon früh richteten wir uns auf kurzfristige Buchungen ein, weil wir realisierten, dass die Gäste oft den Wetterbericht anschauen und dann noch schnell ein Zimmer fürs Wochenende buchen.

Wie konnten Sie den Schweizerhof 1994 überhaupt kaufen?
Eine gute Frage. Damals platzte die Immobilienblase. In der Hotellerie zahlten wir Hypothekarzinsen von acht Prozent, und wir mussten sofort neun Millionen Franken investieren. Die Bank wollte den Betrieb so schnell wie möglich wieder loswerden und gab uns mit sehr wenig Eigenmitteln die Chance, selbstständig zu werden. Bis heute haben wir einen zweistelligen Millionenbetrag ins Haus gesteckt, nur mit erwirtschafteten Eigenmitteln und mit der Unterstützung der Banken. Aber genau darin liegt die Herausforderung für einen Unternehmer – und es ist das, was mir Spass bereitet.

2018 war punkto Übernachtungen ein Rekordjahr für die Schweizer Hotellerie. 2019 läufts bis jetzt noch besser. Sorgen bereitet dafür der starke Franken. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Die Zahlen täuschen. Es ist richtig, dass die Logiernächte steigen, allerdings sind die Durchschnittspreise nicht nur in den Bergregionen gesunken. Wir sind noch weit entfernt von den Zahlen, die wir zum Beispiel 2008 hatten. Das Wachstum der Logiernächte findet vor allem in Städten wie Zürich, Luzern oder Basel statt. Gestiegen sind dafür die Kosten, vor allem aufgrund des Fachkräftemangels. Es ist mittlerweile ein Arbeitnehmermarkt: Wir haben zu wenig gut qualifizierte Mitarbeiter – und bekanntlich bestimmen das Angebot und die Nachfrage den Preis.

Ein Zürcher Hotelier sagte mir kürzlich, es laufe sehr gut, er wisse aber nicht, weshalb.
In den neuen Märkten wie China, Indien, dem Nahen Osten, aber auch bei den Nordamerikanern liegt die Schweiz im Trend. Damit konnten wir den schwächelnden europäischen Markt kompensieren. Aber nochmals: Das ist eine quantitative Betrachtung der Logierzahlen. Gäste neuer Märkte reisen oft in Gruppen mit tieferen Durchschnittspreisen.

Auch in der Schweiz, etwa in Luzern, leiden immer mehr Standorte unter dem Tourismus.
Das darf man nicht dramatisieren. Wir reden von gewissen kurzen Perioden, im Sommer, wenn es eine starke Nachfrage gibt. Von einem Overtourismus und Zuständen wie in Venedig oder Barcelona sind wir aber weit entfernt. Dort sind zwei Faktoren bestimmend, die wir nicht haben: sehr günstige Flüge und die Kreuzfahrtschiffe, die in kurzer Zeit Tausende von Leuten in die Stadt spülen. In der Schweiz sehe ich, gesamtheitlich betrachtet, eher einen Undertourismus. In den Bergregionen liegt die Bettenauslastung übers Jahr gerechnet bei knapp 30 Prozent, nachhaltig ist das nicht. Die Frage ist, wie wir die Gäste von den Hotspots weg in andere Regionen des Landes lenken können.

Was schlagen Sie vor?
Ich glaube, der technologische Wandel kommt uns da entgegen. Auch Gäste aus China oder Indien wollen irgendwann individuell reisen, mit auf sie zugeschnittenen Dienstleistungen, abseits der Trampelpfade. Dank der Digitalisierung können wir diese Gäste sensibilisieren, auch mal nach Splügen oder ins Bergell zu fahren, das touristisch schwach erschlossen, aber dafür noch sehr ursprünglich ist.

Sie sind seit 2015 Präsident von Hotelleriesuisse. Fühlten Sie sich bei der Wahl der Herausforderung gewachsen?
Ich hatte Erfahrung als Präsident des Regionalverbands Graubünden, allerdings war das eine vergleichsweise übersichtliche Aufgabe. Nach der Wahl machte ich mir natürlich Gedanken, wie wir den Verband für die Zukunft fit machen können. Ob zum Beispiel die Hotelklassifikation überhaupt noch einen Sinn ergibt. Ich möchte den Verband so im Markt positionieren, dass er als Unternehmung langfristig überleben kann. Und natürlich fragte ich mich, ob ich das hinkriege.

Wie gingen Sie vor?
Wir haben zuerst einmal unsere Strategie überarbeitet und den Verband mit seinen Kernaufgaben neu positioniert. Vor meiner Zeit wollte man der Verband des Schweizer Tourismus zu sein, heute stehen wir klar fokussiert für die Schweizer Beherbergungsindustrie. Unsere Mitglieder sollen spüren, dass sie einen Verband im Rücken haben, der ihnen im Alltag als Unternehmer hilft, also etwa versucht, die politischen Rahmenbedingungen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Aber auch die Digitalisierung und die Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil unserer Arbeit.

Mit Gastrosuisse, dem zweiten Arbeitgeberverband der Branche, verstrickten sich Ihre Vorgänger in Grabenkämpfe.
Wir pflegen heute ein gutes Verhältnis. Dass es zwei Verbände sind, finde ich nicht schlecht. Hotelleriesuisse deckt den Beherbergungsbereich ab, da haben wir die Kernkompetenz, sei das in den Aus- und den Weiterbildungsangeboten, dem politischen Engagement oder den Dienstleistungen, die wir anbieten. Gastrosuisse wiederum ist stark in der Restauration. Beide Verbände sind klar positioniert, und jeder kann selbst entscheiden, wo er sich besser aufgehoben fühlt. Das ist ein gesunder Wettbewerb.

Das politische Lobbying ist eine Kernkompetenz von Hotelleriesuisse. Wie lautet Ihre Bilanz?
Wir konnten in den letzten drei Jahren einiges für die Branche erreichen, das wir nicht erwartet hätten. Etwa den auf die nächsten zehn Jahre fixierten reduzierten Mehrwertsteuer-Sondersatz. Und zusammen mit den Sozialpartnern brachten wir Anpassungen im Arbeitsrecht durch, zugeschnitten auf die Hotellerie, speziell für die Saisonhotels in den Bergregionen. Bei anderen Geschäften, etwa der Tourismusförderung, müssen wir noch mehr Überzeugungsarbeit leisten.

Sie kandidieren für den Nationalrat, wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?
Schwierig zu sagen, für die fünf Sitze des Kantons Graubünden sind 100 Kandidaten im Rennen. Und die fünf Bisherigen haben in den letzten vier Jahren einen guten Job gemacht. Die Herausforderung ist gross, aber ich muss es versuchen.

Warum?
Der Tourismus ist der bedeutendste Wirtschaftszweig des Kantons Graubünden. Er sollte gehört werden. Und dann geht es mir auch darum, eine Vorbildfunktion für die Branche zu übernehmen. Es ist wichtig, sich politisch zu engagieren.

Das Gastgewerbe tut sich schwer damit.
Die Politik gehört nicht zur Grund-DNA eines Gastgebers, weil der ja Verständnis haben muss für alle und alles. Etwa wenn das Essen nicht gut oder das Bett zu hart war. Er will zufriedene Gäste. In der Politik geht das nicht, da muss man Stellung beziehen, Leute enttäuschen. Ich habe Verständnis, wenn sich ein Hotelier oder Wirt politisch nicht engagiert aus Angst, damit einen Teil seiner Gäste, die anderer Meinung sind, zu verlieren. Auf der anderen Seite sind Gastgeber vielleicht die besseren Brückenbauer, weil wir es gewohnt sind, andere zu verstehen.

Apropos Verständnis: Hotelleriesuisse fordert vom Bund immer wieder Mittel für den Tourismus und stellt sich somit gegen die liberale Politik der FDP, Ihrer politischen Heimat. Ist das kein Widerspruch?
Falls ich gewählt würde, könnte ich im Parlament und innerhalb der Partei zum Beispiel den Unterschied zwischen Wirtschaftsförderung und Subvention erklären. Mich ärgert es immer wieder, wenn man mit unterschiedlichen Ellen misst. Wenn die Innovationsförderung des Bundes für die Industrie Innoswiss 230 Millionen Franken erhält, wird geklatscht. Aber die 7,5 Millionen Franken Jahresbudget für die Tourismusförderung Innotour gelten als Subvention.

Ihr Verband gibt in den Kantonen Wahlempfehlungen ab. Darunter sind auffallend viele Bürgerliche. Machen konservative Politiker eine bessere Tourismuspolitik?
Es geht ja nicht nur um Tourismus, sondern generell um die Rahmenbedingungen der Wirtschaft. Da sind uns die Bürgerlichen näher. Es gibt aber auch gewisse tourismuspolitische Fragen, in denen wir stark von der SP unterstützt werden. Allerdings gehen die Ideen der SP-Fraktion punkto Tourismus eben auch in Richtung mehr Staat. Ich fände es falsch, aus unserem Tourismus eine zweite Landwirtschaft zu machen.

Mit welchen Rezepten wirkt man bei Hotelleriesuisse dem Fachkräftemangel entgegen?
Wir haben schon einiges gemacht. Etwa mit dem neuen Berufsbild des Hotel- Kommunikationsfachmanns. Es dauerte zehn Jahre, um diese Ausbildung zu entwickeln, und sie kam gerade noch rechtzeitig. Aktuell ist die Nachfrage grösser als das Angebot. Da müssen wir uns selbst an der Nase nehmen. Wir hätten junge hochmotivierte Leute, die aber keinen Ausbildungsplatz finden. Sicher ist: Die Mitarbeiterpflege wird in Zukunft noch wichtiger werden. Die Führungskultur in der Branche muss sich verändern.

Zurück ins Graubünden. Da treten sich die einzelnen Tourismusorganisationen auf den Füssen rum, statt zusammenzuspannen.
Das ist leider so. Ich bin seit fast 20 Jahren im Vorstand von Graubünden Ferien und erlebe das hautnah mit. Wir könnten viel mehr PS auf den Boden bringen, wenn wir früher begonnen hätten zu kooperieren. Das Gärtchendenken in den Tälern ist noch immer gross. Aber es wächst eine Generation von jungen Hoteliers und Touristikern heran, die erkennt, dass die digitale Welt weit über unsere Kantonsgrenzen und über die Grenzen geht, die wir in unseren Köpfen haben.

Andreas Züllig (61) lernte Koch und absolvierte anschliessend die Hotelfachschule in Lausanne. Seit 1991 führt er zusammen mit seiner Frau Claudia das Hotel Schweizerhof auf der Lenzerheide, seit 1994 als Eigentümer. Ende 2014 wählten die Delegierten von Hotelleriesuisse den gebürtigen Thurgauer zu ihrem neuen Präsidenten. In dieser Position verantwortet Züllig die Strategie des Verbandes und nicht zuletzt auch die politische Lobbyarbeit. Ebenfalls zu dieser Aufgabe gehören unter anderem ein Verwaltungsratsmandat bei der Hotelfachschule Passugg sowie ein Sitz im Ausschuss von Economiesuisse. Dieses Jahr kandidiert Züllig zudem als FDP-Kandidat für einen der fünf Nationalratssitze des Kantons Graubünden.

www.schweizerhof-lenzerheide.ch



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