«Die Fakten sprachen für sich»

Unter der Leitung von Manfred Roth krempelte das Universitätsspital Basel seinen Gastronomie- und Hotellerieservice komplett um. Dafür musste der weit gereiste Spitzenkoch 20 Jahre in die Zukunft schauen.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 23.06.2020 | Aus: Salz & Pfeffer 3_4/2020

 «Es ist an der Zeit, das Ganze zu festigen.»

Welche Ziele haben Sie sich gesetzt, als Sie vor neun Jahren im Universitätsspital Basel anfingen?
Manfred Roth:
Ich sagte mir einfach: Ich komme nicht zurück in die Schweiz, um Spitzenhotellerie zu machen. Das habe ich gesehen, hier wie auch in Asien. Ich wollte etwas anderes tun. Und da ich die Spitalgastronomie aus früheren Jahren bereits kannte, war sie für mich immer eine Option. Zudem war die Ausgangslange sehr spannend.

Erzählen Sie.
Im Jahr 2011 verselbstständigten sich die fünf Schweizer Universitätsspitäler. Der Kanton zog sich zurück, und wir mussten uns auf dem Markt neu positionieren. Es ging darum, die Bereiche Gastronomie, Hotellerie und Service des Spitals neu zu etablieren. Wir fuhren das Catering hoch und nahmen Restaurationen zurück, die von Fremdfirmen geführt worden waren. Zudem wussten wir bereits, dass die grosse Küche renoviert werden muss. Es ist immer eine spannende Geschichte, eine Küche, die über 5000 Essen pro Tag herstellt, umzubauen. Das macht man nicht jeden Tag. Bei so einem Projekt muss man 20 Jahre in die Zukunft schauen.

Das Universitätsspital Basel führte 2018 für seine Patientengastronomie die Micro-Past-Technologie ein. Ist das die Zukunft?
Davon sind wir nach wie vor überzeugt. Im alten System produzierten wir das Essen und schickten es auf die Stationen. Wenn der Kunde um zwölf Uhr nicht da war oder sich unwohl fühlte, wurde es einfach kalt. Heute kochen wir immer noch frisch. Dann bereiten wir die Gerichte aber so auf, dass wir sie abrufen können, wenn wir sie brauchen. Den Prozess der Essensausgabe steuern wir aktiv.

Bis heute setzt kein anderes Schweizer Unternehmen auf Micro Past. War es schwierig, die Spitalleitung davon zu überzeugen?
Nein, die Fakten sprachen für sich, aber es war auch nie eine Einzelgeschichte, was wir hier in Basel gerissen haben. Einerseits hatten wir ein gut funktionierendes Team, andererseits ein Unternehmen, welches das Projekt als innovativ anschaute und zuliess. Kommt dazu, dass dieses Konzept der Produktion in Deutschland und den Niederlanden in vielen Spitälern eingesetzt wird. In der Schweiz sind wir nun die Ersten.

2011 titelte die Basler Zeitung: «Spitzenkoch kommt ins Universitätsspital». 2018 schrieb sie: «Im Unispital wird das Essen aufgewärmt». Hat Sie das geärgert?
Überhaupt nicht. Vielmehr sorgte das für eine gewisse Klarheit. Natürlich bereiten wir Essen auf. Das praktiziert man in Spitälern seit 30 Jahren. Es ist aber zweierlei, ob man eine Mahlzeit während zweieinhalb Stunden warm hält oder ob man ihr während 25 Minuten eine Wärmezugabe gibt. Das versteht jeder. Es ist letztlich auch eine Kulturfrage. In Japan, Frankreich, ja sogar in der Romandie ist die Mikrowelle etwas ganz Normales. Und wenn man weiss, was darin beim Kochprozess konkret passiert, ist das Ganze sowieso unbedenklich. Klar gibt es auch gegenteilige Stimmen, das ist mir bewusst. Wir können aber alle Kritikpunkte mit Fakten widerlegen.

Neben der Patientengastronomie wurden noch weitere Bereiche umstrukturiert. Wie gingen Sie vor?
Viele Prozesse waren früher einfach sehr umständlich. So mussten etwa die Patientenessen mühsam erfasst werden. Heute haben wir das über eine Applikation geregelt, die Essen werden per Knopfdruck auf den Fall gebucht. Dann haben wir die Stationslogistik und den Hotellerieservice neu organisiert. Wir wollten nicht mehr im Hintergrund agieren, sondern an die Front zum Kunden. So entlasten wir die Pflege, deren Kernkompetenzen schliesslich medizinische Aufgaben sind und nicht das Servieren von Essen. Das bedingte aufwendige Umschulungen. Und wir haben eine Schnittstelle mehr auf den Stationen, aber gerade in der Pandemie hat uns das sehr geholfen, weil sich jeder auf seine Sache konzentrieren konnte.

Covid-19 bezeichnen Sie als Nagelprobe. Warum?
Wir empfingen die Patienten ausserhalb des Spitals, in der angrenzenden Kirche. Unsere Mitarbeiter waren dort von morgens früh bis abends spät und mussten verpflegt werden. Allerdings konnten wir nicht einfach ein Mittagessen und ein Nachtessen organisieren. Es brauchte eine hohe Flexibilität seitens der Hotellerie. Das haben wir gemeistert, mit warmen Mahlzeiten für sämtliche Mitarbeiter, und zwar dann, wenn sie es brauchten und Zeit hatten. Wir produzierten nicht auf Halde, und jeder konnte individuell aussuchen, was er sich wünschte, und vor Ort selber aufbereiten.

Wird denn Micro Past in der Schweizer Spitalgastronomie Schule machen?
Es gibt gute Argumente dafür. Zum Beispiel haben wir unsere Lebensmittelabfälle um 50 Prozent reduziert. Ein anderer Vorteil ist, dass wir jedes einzelne Gericht analysieren können. Etwa wie der Nährwert ist, nach einer Woche oder nach drei. Das konnten wir im alten System auch. Nur ist nach zwei Stunden in der Wärme nicht mehr viel übrig. Das hört man nicht überall gerne, und das verstehe ich auch. Wir sind die Ersten im Markt, das polarisiert. Fakt ist aber, dass wir bessere Ergebnisse punkto Nährwert haben als in der Vergangenheit.

Und wo sind die Schwächen?
Klar die Plastikverpackung, aber in der Pandemie war das jetzt kein Thema, im Gegenteil. Alle waren froh, dass die Mahlzeiten verpackt waren.

Inwiefern hilft Ihnen die Erfahrung aus der Spitzenhotellerie bei Ihrer jetzigen Aufgabe?
In der Wirkung zum Kunden spielt die Hotellerie im Spital eine grosse Rolle. Der Gast kann nachvollziehen, was passiert. Zum Essen haben alle eine Meinung, ganz egal, ob man in einem Spital, einem Hotel oder einem Landgasthof arbeitet. Dem sind wir ausgesetzt, das ist unser Job. Man kann aber auch einen grossen Unterschied machen, wenn man die Extrameile geht, wie es in der Fünf-Sterne-Hotellerie gang und gäbe ist. Es sind Kleinigkeiten wie jemanden mit Namen ansprechen oder nur schon ein Lächeln, die einen grossen Effekt haben. Das Willkommenheissen und die Verabschiedung sind bei uns definitiv auch ein Thema.

Bilden Sie aus?
Das werde ich oft gefragt. Sehr wohl sogar. Interessant bei uns ist, dass ein Lehrling viele Sachen sieht. Er kann raus in die unterschiedlichen Restaurationen, kann in einer offenen Küche à la minute vor dem Gast kochen, lernt dazu aber auch die Mitarbeiterküche und mit dem Micro-Past-System eine industrielle Herstellung kennen. Dazu kommt die Diätküche. Ehrlich, ich finde, der Ausbildungsplatz bei uns ist sehr facettenreich.

Welche Ziele haben Sie sich für das laufende Jahr gesetzt?
Nach sieben Jahren planen und umbauen ist es an der Zeit, das Ganze zu festigen. Wir haben in der Grossküche auch eine Sensorikküche eingebaut. Dort entwickeln wir zum Beispiel neue Menüs, für die Patienten-, aber auch für die Mitarbeiterküche. Etwa ein Sauerkrautsalz aus selbst gemachtem und anschliessend gefriergetrocknetem Sauerkraut. Wir freuen uns, wieder mehr Zeit in unser Kerngeschäft zu investieren. Weil gebaut haben wir jetzt viel.

2019 wurden Sie in Deutschland zum «GV-Manager des Jahres» gekürt. Fehlt in der Schweiz die Wertschätzung für die Gemeinschaftsverpflegung?
Das höre ich immer wieder. Selbst erlebe ich das aber nicht so. Ich glaube, in den letzten Jahren hat die Branche einen richtigen Boom erlebt. Es gibt sensationelle Konzepte, bei den Banken, aber auch anderswo in der Mitarbeiterverpflegung. Da sind hochinnovative Leute am Werk.

Seit 2018 setzt das Universitätsspital Basel für seine Patientenküche auf die Micro-Past-Technologie. Dabei werden sämtliche Gerichte zentral in der Grossküche frisch gekocht, anschliessend pasteurisiert, mit Schutzgas luftdicht in kleine Schalen verpackt und gekühlt gelagert. Vor dem Service bereiten Mitarbeiter die Menüs in der Mikrowelle auf.

Manfred Roth (56) absolvierte die Kochlehre in einem einfachen Gasthof. Es folgten einige Saisons in der Schweizer Hotellerie – unter anderem erlebte er die damalige Neueröffnung des Parkhotels auf dem Bürgenstock – sowie die Ausbildung zum Diätkoch. 1992 heuerte er im Hotel Shangri-La in Manila auf den Philippinen an. Anschliessend reiste er nach Japan, wo er als Küchenchef «Fine Dining» im Hilton Tokyo Bay in Tokio amtete. Nach einem Abstecher im Hilton Osaka eröffnete er das Hilton Otaru in Hokkaido als Executive Chef. Es folgten drei Jahre im Conrad Centennial Hotel in Singapur, bevor Roth Ende 2003 ins Jungfrau Victoria Grand Hotel & Spa in Interlaken zurückkehrte. 2008 zog er erneut nach Japan ins Hotel Mandarin Oriental in Tokio. Seit 2011 ist er als Leiter Hotellerie und Gastronomie im Universitätsspital Basel tätig. Roth ist verheiratet, hat zwei Kinder und begeistert sich unter anderem fürs Trüffeln und fürs Fliegenfischen.



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