«Einfach mal anfangen»

Auf seiner Website erklärt der Verein Circular Gastronomy Switzerland nicht nur, was Kreislaufwirtschaft bedeutet, sondern gibt auch konkrete Tipps, wie sich diese in Betrieben etablieren lässt. Projektleiterin Chantal Julen ordnet ein.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Veröffentlicht: 15.11.2022 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2022

«Nachhaltigkeit basiert auf drei Dimensionen: Ökologie, Soziales und Wirtschaftlichkeit.»

Schätzen Sie doch bitte einmal: Wie viele Gastronominnen und Gastronomen in der Schweiz haben wohl eine Ahnung vom Thema Kreislaufwirtschaft?
Chantal Julen: Wenn es darum geht, diese theoretisch zu erklären, vermutlich die wenigsten. Aber wenn wir die verschiedenen Aspekte, die dazugehören, betrachten – sei das in der Küche, beim Einkauf oder vor dem Gast –, beschäftigen sich wohl schon so einige mit dem Thema.

Dann überlassen wir die theoretische Definition also Ihnen.
Gern. Kreislaufwirtschaft heisst, dass man die Ressourcen, die man braucht, möglichst lange und effizient einsetzt. Dabei ist es wichtig, die Materialkreisläufe zu berücksichtigen, also zum Beispiel darauf zu achten, dass der Boden beim Gemüseanbau umweltschonend bearbeitet wird. Kreislaufwirtschaft ist zudem immer branchenübergreifend; deshalb betrachten wir die Gastronomie nicht als geschlossenes System, sondern fangen mit unseren Überlegungen bei der Landwirtschaft an und hören bei der Abfallentsorgung auf.

Warum eignet sich die Gastronomie besonders gut zum Ansetzen?
Generell existiert Kreislaufwirtschaft in jeder Branche, in der etwas entsteht. Über die Gastronomie lässt sie sich einfach sehr anschaulich thematisieren: Die Branche ist nah- und fassbar, wir haben alle einen Bezug zum Essen, viele gehen gern ins Restaurant und die meisten haben eine Meinung zum Thema. Allgemein gewinnt die Ernährung gesellschaftlich an Bedeutung; es ist den Menschen zunehmend wichtig, frisch und gesund zu essen, und sie denken vermehrt darüber nach, was in diesem Kontext alles passiert.

So diskutieren wir seit ein paar Jahren intensiver über die Problematik Foodwaste. Sind da in der Gastronomie bereits massgebliche Entwicklungen auszumachen?
Ein gewisser Wandel fand meines Erachtens statt – nur schon weil grössere Unternehmen feststellten, dass es sich auch wirtschaftlich lohnt, Massnahmen zu ergreifen. Und inzwischen gibt es auf technologischer Ebene gute Tools, die einem Betrieb helfen, ihren Foodwaste zu messen und entsprechend zu reagieren. Es besteht aber auf alle Fälle noch Verbesserungsbedarf in diesem Bereich.

Ist der finanzielle Anreiz Voraussetzung für eine Veränderung?
Das nicht, aber er hilft natürlich. Nachhaltigkeit basiert auf drei Dimensionen: Ökologie, Soziales und eben Wirtschaftlichkeit. Wenn Wirtschaftlichkeit und Ökologie verbunden werden können, verleiht das einer Entwicklung sicher Schub. Gleiches beobachten wir beim Thema Energie: Aktuell geraten die Betriebe finanziell stärker unter Druck – und plötzlich geht alles schneller. Aus dieser Perspektive gesehen, kann die Krise also auch eine Chance sein.

Dann kommt Ihre Website also gerade im richtigen Moment?
Schwierig zu sagen, wann der ist. Nachdem die Gastronomie erst durch die Pandemie unter Druck kam und nun mit steigenden Energiekosten zu kämpfen hat, fragt man sich schon, ob die Verantwortlichen gerade jetzt Zeit haben, sich mit dem Thema Kreislaufwirtschaft zu beschäftigen. Ich bin mir da nicht so sicher.

Sie plädieren aber trotzdem dafür, genau das zu tun.
Uns ist in diesem Zusammenhang vor allem wichtig, dass niemand von heute auf morgen den gesamten Betrieb umstellen muss. Es geht darum, einfach mal anzufangen, erste Schritte zu gehen, auch kleine. Kreislaufwirtschaft bietet so viele verschiedene Ansatzpunkte, dass jede und jeder da beginnen kann, wo entweder der Druck besonders gross ist oder es speziell leichtfällt, etwas zu verändern. Wir haben auf unserer Website neun Handlungsfelder definiert, die aufzeigen, wie vielfältig die Optionen sind, und wir geben konkrete Tipps, was Gastronominnen und Gastronomen an welcher Stelle beachten und eventuell ändern können.

In welchem Gebiet hat die Branche denn den grössten Aufholbedarf?
Ich sehe bei der Angebotsgestaltung noch einiges an Potenzial und einen grossen Hebel. Ausserdem bei der klaren Positionierung eines Betriebs: dass sich die Verantwortlichen wirklich Zeit nehmen, sich Gedanken darüber machen, wofür ihr Unternehmen stehen soll – und wie sie sich nachhaltig von der Konkurrenz abheben können.

Ihre Website ging im September online. Wie ist das Feedback darauf?
Bislang erhalten wir hauptsächlich Rückmeldungen von Menschen und Institutionen, die sich bereits in irgendeiner Form mit dem Thema beschäftigen: Bei ihnen kommt unser Angebot sehr gut an. Die Frage ist nun allerdings, wie wir damit die breitere Masse erreichen – insbesondere jene Leute, für die das Konzept der Kreislaufwirtschaft neu ist.

Und?
Unsere Workshops und Veranstaltungen richten sich explizit auch an Interessierte, die selbst nicht Mitglied im Verein sind. Und die Zusammenarbeit, die wir momentan mit einer Bildungsinstitution im Wallis haben, an der wir einen Kurstag für Gastronomen und Gastronominnen zum Thema Kreislaufwirtschaft gestalten dürfen, würden wir gerne multiplizieren. Ausserdem ist es in einem nächsten Schritt das Ziel des Vereins, über die lokale Ebene in Biel hinauszugehen.

Bleiben wir doch noch einen Moment beim Thema Bildung: Welche Rolle spielt sie in dieser Sache?
Eine sehr grosse. In einer entsprechenden Weiterbildung erhalten die Verantwortlichen einen Überblick über das durchaus komplexe Thema. Das hilft ihnen, zu entscheiden, in welchem Bereich sie aktiv werden möchten respektive können. Entscheidend ist aber auch, dass innerhalb des Betriebs Schulungen stattfinden. Denn es nützt wenig, wenn sich nur der Chef oder die Chefin für mehr Nachhaltigkeit einsetzt, ohne dass das Team mitzieht und sich entsprechend auskennt. Ich finde ja sogar, dass es sich bereits in der Rekrutierung lohnt, das Thema anzuschneiden. So findet man gleich zu Beginn heraus, ob jemand zur Philosophie des Hauses passt.

Momentan können Gastronominnen und Gastronomen ihre Mitarbeitenden allerdings nicht unbedingt auswählen.
Das mag teilweise stimmen. Es kann aber eben auch eine Chance sein, einen Betrieb mit einer klaren Vision in Sachen Nachhaltigkeit zu positionieren. Das ist für immer mehr Menschen attraktiv.

Betriebe werden also wettbewerbsfähiger?
Das würde ich nicht generell sagen. Aber so wie gelebte Nachhaltigkeit für immer mehr Gäste relevant ist, ist sie es auch für Angestellte. Und ich kann mir vorstellen, dass zumindest ein gewisser Anteil jener Generation, die derzeit aus der Lehre kommt, explizit einen Betrieb aussucht, der die Kreislaufwirtschaft im Blick hat. Sinnhaftigkeit im Arbeitsalltag ist für junge Menschen ein Thema: Da kann der Fokus auf Nachhaltigkeit bei der Wahl eines Unternehmens durchaus den Ausschlag geben.

Zur Person
Chantal Julen hat Betriebswirtschaft studiert und verfügt über einen CAS in Nachhaltiger Entwicklung. Seit Juli ist die 31-Jährige, die zwischenzeitlich als Servicekraft in Hotels Berufserfahrungen sammelte und sogar in Betracht gezogen hatte, die Hotelfachschule zu absolvieren, als Projektleiterin bei der Sanu future learning AG angestellt. Das Unternehmen mit Sitz in Biel bietet im Bereich Nachhaltigkeit sowohl Weiterbildungen und Lehrgänge als auch Beratungen für Organisationen und Betriebe an. Unter anderem verantwortet es die Geschäftsführung des lokal ansässigen Vereins Circular Gastronomy Switzerland.
sanu.ch

Zum Verein
Circular Gastronomy Switzerland will mehr Nachhaltigkeit in die Gastronomie bringen. Der Verein entstand aus einem Mitte 2021 von Bieler Gastronominnen und Gastronomen sowie dem Netzwerk Seeland Biel Bienne angestossenen Projekt zum Thema Kreislaufwirtschaft im Gastgewerbe heraus. Ihm gehören diverse Mitglieder an, darunter Restaurants wie das Écluse in Biel, aber auch Organisationen wie Gemüse Erzeuger Seeland oder Bern ist Bio sowie Unternehmen wie Recircle. Neben der als digitales Handbuch konzipierten Website organisiert der Verein regelmässig Workshops sowie öffentliche Veranstaltungen und engagiert sich in der Aus- respektive Weiterbildung von Gastronominnen, Hoteliers und Touristikerinnen.
circular-gastronomy.ch

Neun Felder, viele Tipps

 

Auf seiner Website teilt Circular Gastronomy Switzerland sein Wissen rund ums Thema Kreislaufwirtschaft und zeigt anhand von Beispielen aus der Praxis das Potenzial für die Branche auf. Springender Punkt im Konzept ist, dass vom Raumpfleger über die Küchenchefin und die Unternehmerin bis hin zum Gast alle ihren Teil beitragen können. Die Infos und Tipps für den Alltag sind entsprechend in neun Handlungsfelder gegliedert. Wir haben Projektleiterin Chantal Julen gebeten, zu jedem davon ein kurzes Statement abzugeben.

Beim Einkauf:
«Das Thema kommt im Kontext mit ökologischen Überlegungen rasch auf; es ist für Gastronominnen und Gastronomen auch relevant, weil damit eine Kostenfrage verbunden ist. Um nachhaltiger einzukaufen, empfehlen wir zum Beispiel, auf saisonale und lokale Lebensmittel zu setzen und auf Labels zu achten, die für biologische und faire Produktionsbedingungen stehen. Das ist einfach gesagt, kann in der Praxis aber durchaus komplex sein.»

Unterwegs: «Ein Grossteil unserer Umweltbelastung wird durch die Mobilität verursacht. Gerade bei den Transportwegen sehen wir deshalb viel Optimierungspotenzial, indem sich Betriebe zum Beispiel bei ihren Bestellungen zusammenschliessen. Insbesondere wer vermehrt lokale Produzentinnen und Produzenten berücksichtigt, kann in dieser Hinsicht allenfalls etwas Sinnvolles organisieren.»

In der Hauswirtschaft: «In diesem Bereich haben wir verschiedene Hebel, um einen Betrieb nachhaltiger zu machen. Wir empfehlen unter anderem, auf biologisch abbaubare Reinigungsmittel zu setzen und natürliche Textilien zu bevorzugen. Durch verantwortungsvolles Putzen und Waschen schützt man am Ende auch sich selbst.»

Im Umfeld: «Hier geht es um Partnerschaften, die wir brauchen, um Kreisläufe nachhaltig zu schliessen – denn als Menschen sind wir Teil davon. Ob mit Lieferanten oder Mitarbeiterinnen, mit der Bank, dem Immobilienbesitzer oder den Gästen: Wir propagieren den offenen Austausch und die Kooperation – damit nachhaltige Lösungen zur Normalität werden.»

Vor dem Gast: «Die Kommunikation mit der Kundschaft bietet viel Raum, um die Nachhaltigkeit im Betrieb zu thematisieren. So können Gastronomen und Gastronominnen dem vegetarischen Menü zum Beispiel einen speziellen Stellenwert einräumen oder auf die Möglichkeit aufmerksam machen, halbe Portionen respektive einen Nachschlag zu bestellen.»

In der Küche: «Weil gleich mehrere Kreisläufe durch die Küche führen, bietet sie viele Ansatzpunkte für mehr Nachhaltigkeit. Dazu gehören beispielsweise eine durchdachte Menüplanung mit einer auf die Bedürfnisse der Gäste abgestimmten Portionengrösse, eine clevere Strategie, um Abfall zu vermeiden oder zu verwerten, sowie allenfalls eine Investition in die Effizienz von Küchengeräten.»

Im Gebäude: «Zu diesem Handlungsfeld gehört alles, was im Haus steht oder darin verbraucht wird: Energie, Wasser et cetera. Das Thema ist brandaktuell, weil die Preise gerade steigen und es sich finanziell besonders lohnt, sparsam zu sein und die Prozesse zu optimieren. Aber auch beim Mobiliar sehen wir Optionen: Man kann zum Beispiel nach Secondhandmöbeln suchen oder mit dem arbeiten, was vorhanden ist.»

Im Unternehmen: «Wer sich als Chef oder Chefin mit den Kreisläufen im Betrieb beschäftigt, hat den ersten Schritt getan. Für mehr Nachhaltigkeit in einem ganzheitlichen Sinn ist es aber zentral, dass man sich als Team ein Ziel setzt, am gleichen Strang zieht und Erreichtes auch zusammen feiert. Zudem spielt die soziale Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle – etwa der Umgang mit dem Personal und faire Arbeitsbedingungen.»

Beim Abfall: Daran denkt man beim Stichwort Kreislaufwirtschaft schnell, das Thema ist offensichtlich. Und: Abfall lässt sich in einem Gastrobetrieb an vielen Orten vermeiden, nicht nur in der Küche, sondern auch beim Einkauf, bei der Dekoration oder beim Putzen. Wir empfehlen unter anderem, Ressourcen nach Möglichkeit zu rezyklieren und zum Beispiel Lieferbetriebe zu suchen, die gewisse Materialien auch wieder zurücknehmen.»



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