(K)ein Wunder

Alexandra Ziörjen ist Mutter, Hoteldirektorin und Sterne-Köchin, in genau dieser Reihenfolge. Ihre Geschichte ist romanreif, auch wenn einiges hochgeschaukelt wurde.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 31.03.2020 | Aus: Salz & Pfeffer 2/2020
Carabinero, gegart wie ein Ceviche, mit Granatapfel, gerösteten Haselnüssen und Pastinaken

«Wir Köche sind stärker gefordert als noch vor 20 Jahren.»

Sind Sie eine ehrgeizige Person?
Alexandra Ziörjen: Ja, doch, das kann man so sagen. Aber ich bin nicht krankhaft ehrgeizig. Es darf bei mir auch mal was schiefgehen, ohne dass ich gleich ausraste, dafür bin ich zu harmoniebedürftig. Ich halte nichts von den alten Küchenhierarchien. Disziplin ist wichtig, Ehrgeiz ebenso, aber man muss auch miteinander lachen können. Es muss Spass machen, morgens zur Arbeit zu kommen.

Aber zur Köchin geformt wurden Sie in ebendiesen traditionellen Strukturen.
Allerdings. Ich habe zehn Saisons im Hotel Palace in Gstaad absolviert, unter Peter Wyss. Und in der Zwischensaison suchte ich mir jeweils was anderes, mal hier, mal dort. In den jungen Jahren war das noch gut, auch wenn wir viel arbeiteten. Das hat sich stark verändert. Heute, so kommts mir oft vor, wollen die Köche zwei Wochen arbeiten und zehn Wochen Ferien.

Wie gehen Sie als Chefin mit einer solchen Arbeitsmoral um?
Ich finde halt, dass wir von einem Extrem ins andere gegangen sind. Früher arbeiteten wir 17 Stunden pro Tag und hielten die Klappe. Heute kratzt man an der Minute herum. Es müsste irgendwas in der Mitte sein. Voraussetzung dafür sind ein gutes Arbeitsklima und ein fairer Umgang untereinander.

Als Sie 2019 Ihren ersten Michelin-Stern erhielten, schrieben die Medien von einem Wunder. Bei Ihrer Ausbildung scheint die Auszeichnung allerdings eher eine logische Konsequenz zu sein.
Es wurde hochgeschaukelt, dass ich seit 2005 offiziell nicht mehr in der Küche gestanden war. Ich hänge das nie gerne an die grosse Glocke. Aber ich habe in meinem Jahrgang die beste Abschlussnote von ganz Deutschland erhalten und mit Ausnahme der Deutschen Meisterschaft alle Wettbewerbe gewonnen, an denen ich während der Lehrzeit teilnehmen durfte. Im Palace in Gstaad war ich der erste weibliche Chef de Partie überhaupt. Die handwerkliche Basis für einen Stern war mit Sicherheit da. Und ich betonte immer, dass ich auch in den letzten Jahren regelmässig gekocht hatte, etwa wenn mein damaliger Küchenchef seinen Freitag einzog. Das ging in der Berichterstattung unter. Die Geschichte war halt auch zu gut.

Sie lautete: Küchenchef setzt sich mitten in der Hauptsaison ohne Vorwarnung ab, Hoteldirektorin springt ein und erkocht sich, peng, einen Stern.
Und genau so wars eigentlich auch. Wir standen vor der Wildsaison, und mir fehlte fast eine komplette Brigade. Ich schaltete Annoncen, aber es kam nichts Vernünftiges rein. Also beschloss ich, wieder in die Küche zu gehen. Im Service waren wir gut aufgestellt. Ich wollte mich nicht verrückt machen lassen und plante, das Gourmetrestaurant Nova aufzugeben und nur noch eine anspruchsvolle Bistroküche anzubieten. Ich hatte bereits die Karten dafür geschrieben, als Michelin-Chefredaktor Ralf Flinkenflügel in einer der letzten Wochen essen kam und mir einen Stern in Aussicht stellte.

Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?
Zuerst einmal ist es wahnsinnig schnell rumgegangen. Ich bin als Köchin sicher gewachsen. Den Geschmackssinn hatte ich immer, aber das Kreative und das Feine waren ein bisschen eingeschlafen. Wir haben uns klar gesteigert. Wobei meine Prioritäten unverändert sind: Zuerst muss es meinen Kindern gut gehen, dann muss das Haus funktionieren, damit ich 14 Löhne bezahlen kann, und erst dann darf das Nova da sein, als kleines Gourmetrestaurant und als unser Stolz.

Was hat der Stern verändert?
Vieles. Als Erstes engagierte ich einen Sekretär, damit ich mich stärker aufs Restaurant konzentrieren konnte. Es ist seither einfacher, an gut ausgebildetes Personal zu kommen, dafür ist der Druck einiges höher. Wir wollten den Stern behalten – und haben das vor einem Monat auch geschafft. Dafür darf man sich in der Küche keine Fehler erlauben. Die Gäste werden viel kritischer, sobald man einen Stern an der Türe hängen hat. Nicht unbedingt die Stammgäste, aber es kommen eben auch viele neue, die nicht selten veritable Restaurantkritiker sind.

Skrei mit Bintje-Kartoffel, Zitrusfrüchten, Venusmuscheln und Safranessenz
Taube aus der Vendée, Tannenhonig, Szechuanpfeffer und Rande

Was bedeutet das für Sie?
Wir Köche sind sicher stärker gefordert als noch vor 20 Jahren. Man will heute nicht mehr nur gut essen, sondern wünscht sich ein komplettes Erlebnis. Aber ich glaube, wir machen das hier ganz ordentlich. Der Service ist gut, wir bringen Interessantes auf den Teller und all das in einem Ambiente, in dem man Lust und Spass hat, essen zu gehen.

Was erwartet die Gäste im Romantik Hôtel l’Etoile denn aus kulinarischer Sicht?
Wir kochen modern auf einer klassisch französischen Basis. Im Bistro wechseln wir die Karte alle drei Monate. Klassiker wie Fondue oder Zürcher Geschnetzeltes gibts immer. Das Restaurant Nova ist nur an den Wochenenden geöffnet. Dort haben wir ein kleines Menü sowie ein grosses, das auf dem kleinen aufbaut. Wir sind nur zu viert in der Küche, etwas anderes ist nicht möglich. Am Wochenende schicken wir 60 Teller im Bistro, im Nova kommen dann, wenns voll ist, 20-mal acht Gänge dazu. Das nenne ich die Apokalypse.

Aufs Menü setzen Sie auch mal eine Taube oder handgetauchte Jakobsmuscheln. Welche Philosophie verfolgen Sie bei der Wahl Ihrer Produkte?
Regionalität ist wichtig, weil wir alle eine Verantwortung tragen für unsere Umwelt. Und wenn man über ein Produkt eine Geschichte erzählen kann, zum Beispiel über die Randen aus dem Seeland oder über den Wasserbüffel aus Neuchâtel, ist das wunderschön. Ich finde, als Restaurateur hat man aber auch die Gelegenheit, dem Gast ein besonderes Produkt nahezubringen. Etwas, das er nicht selbst im Supermarkt oder beim Metzger um die Ecke kaufen kann, zum Beispiel eine Taube aus der Vendée.

Sie sind Hoteldirektorin und Küchenchefin in Personalunion. Welche Aufgabe entspricht Ihnen eher?
Ich hatte die Atmosphäre in der Küche schon immer gerne. Dort sagt man direkt, was man denkt, und dann ist es geregelt. So bin ich auch als Mensch. Und es gibt Dinge, die kann man wirklich nur als Koch erleben, zum Beispiel dieses unglaublich befriedigende Gefühl nach einem Wochenendservice, wenn man über 100 Teller geschickt hat und alles gut gegangen ist. Dazu kommen die Kreativität und die Möglichkeit, mit so vielen unterschiedlichen Produkten zu arbeiten. Die Küche ist einfach geil. Aber klar ist es auch interessant, ab und zu ein paar Zahlen anzuschauen.

Also haben Sie über zehn Jahre im Hotel gearbeitet und nicht das gemacht, was Ihnen am meisten Spass macht?
So schlimm ist es nicht. Ich fand Hotels als Ganzes schon als Kind faszinierend. Und im L’Etoile hatte ich viel Abwechslung, war mal im Service, erledigte die Buchhaltung, das Administrative und stand auch immer wieder in der Küche.

Welche Ziele hat sich die Hoteldirektorin und Sterne-Köchin Alexandra Ziörjen für 2020 gesetzt?
Der Plan ist es, das Level zu halten und die Plätze im Restaurant Nova noch besser zu besetzen. Ich koche bewusst nicht in Richtung zwei Sterne. Nicht, dass ich eine solche Wertung nicht super fände, aber ich will hinter allem noch ein Mensch und eine Mama bleiben. Das geht mit einem Stern relativ gut, organisatorisch und strukturell. Mit zwei Sternen würde ich mir zu viel Druck machen. Ob ich dafür das nötige Handwerk habe, lasse ich mal aussen vor.

Als Kind spielte Alexandra Ziörjen am liebsten Fussball oder Hotel. Die Kochlehre absolvierte die heute 39-Jährige in Frankfurt bei der Lufthansa und schloss die Ausbildung als Lehrgangsbeste von ganz Deutschland ab. Ihre Wanderjahre führten sie ab 1999 unter anderem ins Hotel The Dorchester in London, ins Restaurant Ente in Wiesbaden und immer wieder ins Palace Hotel Gstaad. 2005 wechselte Ziörjen den Beruf und wurde Empfangsleiterin im Grand Hotel Park in Gstaad. 2011 machte sie sich mit ihrem damaligen Ehemann im Romantik Hôtel l’Etoile in Charmey selbstständig, nach der Scheidung 2014 führte sie das Haus alleine. Im September 2018 packte ihr Küchenchef unbemerkt seine Küchenmesser und tauchte nicht mehr auf. Ziörjen sprang notgedrungen ein, kochte sich durch die Wildsaison und erhielt, wenige Wochen bevor sie das Gourmetrestaurant des Hotels für immer schliessen wollte, Besuch von Michelin-Chefredaktor Ralf Flinkenflügel. Seit Februar 2019 ist Ziörjens Küche mit einem Stern bewertet. Und auch in dieses Jahr startete die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern fulminant. Im Februar bestätigte sie nicht nur ihre Wertung, sondern wurde anlässlich der Nacht der Sterne in Stuttgart auch dafür ausgezeichnet, eines der besten Restaurants der Schweiz zu führen. Zudem ist sie seit Anfang des Jahres Mitglied der prestigeträchtigen Vereinigung Jeunes Restaurateurs d’Europe, und voraussichtlich vom September bis November geniessen die Business- und First-Class-Gäste von Swiss ihre Kreationen hoch über den Wolken.

Romantik Hôtel l’Etoile
Rue du Centre, 1637 Charmey
026 927 50 50
etoile.ch



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