Leben und leben lassen

Franz Jonke ist eine lebende Legende in der Schweizer Gemeinschaftsgastronomie. Im Interview verrät der Weltmeister und Olympiasieger, was heute für einen Koch wichtig ist und was man an Wettbewerben wirklich lernt.
Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 21.09.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2017

«Die eigene Gastronomie bringt einem Unternehmen klare Vorteile, die mit einem externen Caterer wegfallen.»

Nächsten April hängen Sie Ihre Kochjacke an den Nagel. Sind Sie darauf vorbereitet?
Franz Jonke: Absolut. Ich habe vor langer Zeit entschieden, vor dem ordentlichen Pensionsalter mit 63 aufzuhören. Ich begann als 15-Jähriger, in der Küche zu arbeiten, und habe im Beruf immer extrem viel gegeben. Wenn man die Gastronomie auf diese Art und Weise, intensiv und mit Freude, lebt, dann ist es irgendwann genug. Klar kann man auch bis 65 oder länger arbeiten, aber das muss nicht sein.

Sie haben 32 Jahre Ihres Lebens der Gastronomie im Paul Scherrer Institut gewidmet. Was reizte Sie an der Aufgabe? 
Als ich hier 1985 die Küchenchefstelle übernahm, fand in der Gemeinschaftsgastronomie ein Umdenken statt. Das Institut suchte explizit einen kreativen Küchenchef. Man wollte vom sturen Denken wegkommen, neue Wege gehen, und gab mir die Möglichkeit, etwas aufzubauen. 

Welche Situation trafen Sie an? 
Das ganze Restaurant Oase war bedient und subventioniert. Meine Aufgabe war es auch, die Gastronomie als Profit-Center des Unternehmens aus den roten Zahlen zu holen. Als Erstes stellten wir um auf Selbstbedienung, wobei ein kleiner Teil des Restaurants noch heute bedient wird. Dann gab es nur ein Hauptmenü. Wer etwas anderes wollte, musste vorbestellen. Das hoben wir alles auf. Wir entwickelten zuerst das Wochenmenü, dann langsam ein Cateringangebot, und realisierten Bankette. Auf enormen Anklang stiessen Aktionen wie zum Beispiel Schweizer Wochen. Das kannte man damals noch nicht. Ich hätte nie geglaubt, welche Möglichkeiten sich mir hier als Koch eröffnen würden. Ich hatte absolut freie Hand. 

Sie traten die Stelle mit einer gewissen Skepsis an.
Ich kannte diesen Branchenzweig schlicht zuwenig. Die Gemeinschaftsgastronomie genoss nicht den besten Ruf. Die Leute redeten damals einfach von einer Kantine. Das Wort verwenden wir übrigens nie, wir sind ein Restaurant. Fakt ist, wir kochen mit den gleich guten Produkten wie die übrige Restauration, benutzen die gleiche Technik. Für mich gibt es nur eine gute und eine schlechte Küche, egal, auf welchem Niveau. Mir war von Anfang an klar, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Gemeinschaftsgastronomie den Ruf erhält, den sie auch verdient. Das ist heute weitestgehend der Fall. 

Sie haben unzählige Kochwettbewerbe bestritten. Was hat Ihnen dieses Engagement konkret gebracht?
Ich konnte mir ein weltumspannendes Netzwerk von Kollegen und Freunden aufbauen, davon profitiere ich heute noch enorm. Die Wettbewerbe lehrten mich aber auch, exakt, mit einem Zeitrahmen sowie im Team zu arbeiten. Es nützt nichts, kreativ zu sein, wenn das Team nicht harmoniert. Wenn man aber die Schweiz vertreten darf und spürt, dass man international nicht nur mithalten, sondern gewinnen kann, dann stärkt das das Selbstvertrauen enorm. Zudem glaube ich, dass die Gastronomie des Paul Scherrer Instituts direkt von unseren Wettbewerben profitierte, weil diese die Denkkultur fürs Essen im Unternehmen beeinflussten.

Inwiefern?
Für die Teamwettbewerbe trainierten wir immer in unserer Küche. Während der Probeläufe merkte ich, dass die Angestellten begannen, anders zu arbeiten. Zum Beispiel richteten sie plötzlich viel präziser an. Sie sahen natürlich, was wir machen. Und das veränderte den Bezug zu ihren eigenen Aufgaben.

1992 gewannen Sie den Kochwettbewerb Goldener Koch, Gemeinschaftsgastronomen gelingt das selten.
Ich bin, soweit ich weiss, bis heute der einzige. Allerdings war das System damals anders. Die vier Juroren kamen im Betrieb der Finalisten vorbei. Ich erinnere mich gut, ich war der Vorletzte, unter meinen Mitbewerbern war zum Beispiel auch Kollege Dario Ranza. Der Goldene Koch ist für mich bis heute der nachhaltigste Wettbewerb, auch, weil die Sponsorin Kadi den Kontakt zu ehemaligen Gewinnern immer pflegte. 

Sind Sie ein ehrgeiziger Mensch?
Wenn es um die Sache geht, schon. Wir haben alle ein gemeinsames Ziel, das nur mit einer klar definierten Leistung erreicht werden kann. Bei den Banketten zum Beispiel ist uns in all den Jahren noch nie etwas in die Hose gegangen. Sonst bin ich aber eher jemand, der lebt und leben lässt. Mein Führungsstil ist motivierend. Ich versuche, meine mittlerweile 50 Mitarbeiter weitgehend machen zu lassen. So bekommt man am meisten Leistung zurück.

Spüren Sie den oft beschworenen Fachkräftemangel in der Gastronomie?
Interessanterweise nicht. Es kommen immer noch viele ausländische Fachkräfte in die Schweiz, und im Kanton Aargau haben wir zum Glück immer genügend Lehrlinge. Die Lage hat sich aber auch verbessert, weil von der Arbeitgeberseite erkannt wurde, dass es in der Gastronomie neue Modelle braucht. Man soll auch mal an den Wochenenden frei haben können oder den Tag ohne Zimmerstunde durcharbeiten. 

Das Problem ist doch, die Leute nach der Lehre im Beruf zu halten.
In der Fachkommission des Schweizerischen Kochverbands haben wir intensiv darüber nachgedacht, wie man die Lage verbessern könnte. Einfach ist es nicht. Es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass die Gastronomie eine eigene Welt ist. Aber es gibt trotzdem viele, die weitermachen, darunter wirklich gute, ehrgeizige Leute, die ihren Weg in internationale Toprestaurants gehen werden. Die obere Spitze ist gut besetzt, es fehlt ein bisschen im Mittelfeld. Ich bin aber überzeugt, dass wir vor einem neuen Schub stehen, wenn wir es schaffen, die Arbeitszeitmodelle zu flexibilisieren. Das steigert auch die Motivation der Jungen, in der Branche zu bleiben. 

In der Schweizer Gemeinschaftsgastronomie dominieren vier Grosscaterer den Markt. Was ist der Schlüssel, um unabhängig erfolgreich zu sein?
Die eigene Gastronomie bringt einem Unternehmen klare Vorteile, die mit einem externen Caterer wegfallen. Wir verstehen uns zum Beispiel als Teil des Unternehmens, haben einen unglaublich kurzen Weg auch zur Direktion und spüren jederzeit, worauf es ankommt. Insgesamt arbeiten hier über 2000 Menschen, und trotzdem fühlt es sich familiär an. Natürlich müssen wir erfolgreich arbeiten und selbsttragend sein. Ein externer Caterer macht seine Sache auch gut, keine Frage. Aber er kommt primär, um Geld zu verdienen. Der emotionale Teil, der Mehrwert des Miteinanders, des Sich-Kennens, bleibt da oft auf der Strecke.

Welche aktuellen Strömungen orten Sie in der Gemeinschaftsgastronomie?
Was mir seit etwa fünf Jahren extrem auffällt, ist der Trend zum Vegetarischen. Wir sind dafür ein guter Indikator, weil wir Doktoranden und Studenten aus der ganzen Welt als Gäste haben. Viele junge Leute essen heute grundsätzlich fleischlos oder nur noch mit einem sehr tiefen Fleischanteil. Für uns Köche ist das spannend, die kreativen Möglichkeiten in der vegetarischen Küche sind schier unerschöpflich. 

Wie fanden Sie bei Ihren zahlreichen Verpflichtungen eigentlich noch Zeit für Ihre Familie?
Es braucht ein striktes Zeitmanagement. Zwischen 1992 und 1996 gab es für mich nur den Betrieb, die Familie und die Wettbewerbe. Zeit, um etwa noch Tennis zu spielen, blieb da nicht. Ich wusste genau, wann ich mit meinen Kindern spiele oder sonst was unternehme. Und ich arbeitete sehr viel in der Nacht. Meine Familie hat mich aber immer toll unterstützt. 

Würden Sie rückblickend etwas anders machen?
Nichts Grundlegendes. Ich habe den Schritt in die Gastronomie nie bereut. Während der Lehre schufteten wir noch sechs Tage pro Woche, zehn bis zwölf Stunden pro Tag. Heute ist vieles besser, vieles aber auch anders geworden. Ein Koch muss heute vernetzt arbeiten können, neben den vielen Produkten auch die gängigen Computerprogramme und den Umgang mit den sozialen Medien beherrschen. Ich glaube darum, dass es heute wichtig ist für einen Koch, eine Balance zu finden. Es gilt, selbst für die nötige Entschleunigung zu sorgen – das gibt enorm Kraft für den Alltag. Denn die Flut von Dingen, die heute auf einen einprasseln, ist eine vergleichbare Herausforderung wie früher das übertrieben lange Arbeiten.

Franz Jonke (62) wächst in der Steiermark auf. Als 15-Jähriger entscheidet er sich für eine Kochlehre. Nach dem Armeedienst und einigen Saisonstellen in Österreich heuert Jonke 1978 als Saucier im Restaurant Mövenpick am Zürcher Hauptbahnhof an. 1985 übernimmt er die Küchenleitung des Restaurants Oase am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen. Seit 1998 leitet er die aus vier Restaurants bestehende Gastronomie des multidisziplinären Forschungsinstituts. In seiner Karriere gewinnt Jonke über 40 Goldmedaillen an Einzel- und Teamkochwettbewerben. Mit der Schweizer Kochnationalmannschaft – die sich zu jener Zeit aus der Aargauer Kochgilde formiert – wird Jonke 1995 in Chicago Weltmeister sowie 1996 in Berlin Olympiasieger. Jonke, der über die Jahre auch zahlreiche Ämter im Schweizerischen Kochverband bekleidet, ist verheiratet, hat zwei Kinder und vier Enkel.

Paul Scherrer Institut
Restaurant Oase
5232 Villigen
056 310 21 11
www.psi.ch



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