Wie frisch ist frisch?

Es war ein Produzentenbesuch mit Folgen: Tobias Funke lernte auf den FĂ€röern nicht nur jede Menge ĂŒber Fisch und Krustentiere, sondern organisierte gemeinsam mit den Kollegen kurzerhand deren Transport um.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Henrik Nielsen
Veröffentlicht: 16.11.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2021

«Im direkten Kontakt vor Ort fanden wir unkompliziert und schnell eine Lösung.» 

Sie reisten im September mit einer kleinen Delegation von Köchen auf die FÀröer. Warum ausgerechnet da hin?
Tobias Funke:
Der Vorschlag stammte von Frank Bössneck von der Hugo Dubno AG. Er wollte ein paar Schweizer Köchen – also Stefan Heilemann, Rolf Fliegauf, William Weiss und mir – zeigen, wie die Fischerei auf den FĂ€röern funktioniert.

Und Sie besuchen ja eh gern Produzenten.
Es gehört zu meiner Philosophie, mich mit dem Handwerk meiner Produzenten zu beschĂ€ftigen, ja. Ich versuche, immer mal wieder beim einen oder anderen mitzuarbeiten, und will wissen, welcher Aufwand hinter den Lebensmitteln steckt, die ich verwende. So stand ich schon bei Willi Schmid in der KĂ€serei, half im Tropenhaus Frutigen mit, sah beim Metzger, beim GemĂŒsebauern oder beim FischhĂ€ndler hinter die Kulissen. Was ich dabei erlebe, verwende ich auch fĂŒr das Booklet, das die GĂ€ste in unserem Gourmetrestaurant Incantare zum Start des MenĂŒs erhalten. Es enthĂ€lt Geschichten ĂŒber unsere Produzenten und Zutaten, dazu kommen im Verlauf des Essens KĂ€rtchen, welche die einzelnen Gerichte erlĂ€utern. Die Reise auf die FĂ€röer fliesst sicher auch ins Booklet ein.

Was imponierte Ihnen besonders?
Ich sah und lernte in den zweieinhalb Tagen auf den FĂ€röern extrem viel. Wir waren stĂ€ndig draussen und assen fast ausschliesslich Meerestiere, plus ein bisschen Papageientaucher und Möwe. Am meisten beeindruckten mich neben der Landschaft die Menschen. Sie sind echte Wikinger und leben in einem Klima, in dem sich ausser Kartoffeln, RĂŒben und Rhabarber kaum etwas anbauen lĂ€sst. Dazu haben sie Schafe – und eben alles aus dem Wasser.

Fisch und Krustentiere standen auf Ihrer Reise im Fokus. Was fiel Ihnen da auf?
Einmal besuchten wir eine Fischfabrik. Wir betraten ein BĂŒro, in dem eine Induktionsplatte, eine Pfanne sowie Seeteufel, Kabeljau und ein paar wenige Zutaten bereitstanden, mit denen wir etwas kochen sollten. Die anderen stĂŒrzten sich auf den Seeteufel. Super fĂŒr mich: Kabeljau ist mein Liebling. Ich nahm den Fisch, ein bisschen Butter zum Arosieren, briet ihn ganz langsam, gab ein wenig Zitrone hinzu – und ich glaube, wir alle hatten noch nie einen so guten Kabeljau gegessen. Diese Konsistenz! Da fragten wir uns schon, wie es sein kann, dass wir in der Schweiz nie diese QualitĂ€t erhalten.

Nicht?
Nein, und das trieb mich schon lange um. Ich bekam in der Schweiz stets guten Fisch und fĂŒr meine GĂ€ste war immer alles in Ordnung, aber es gab dennoch einen Unterschied zur QualitĂ€t vor Ort. Auf den FĂ€röern erfuhr ich, woran das liegt.

Woran denn?
Nach dem Kochen in der Fabrik wechselten wir ins nĂ€chste BĂŒro, in dem man uns auf einer grossen Livekarte zeigte, wo all die Boote draussen gerade sind. Die befinden sich zum Teil vier Tage auf dem Meer. Bis der Fisch per Schiff ĂŒber Antwerpen dann bei uns ankommt, vergeht eine gewisse Zeit.

Und jetzt?
Bei unserer Ankunft auf dem winzigen Flughafen auf den FĂ€röern hatten wir auf dem Rollfeld unter anderem einen Wagen gesehen, auf dem Kisten mit Fisch lagen. Und wir wussten, dass tĂ€glich vier FlĂŒge nach Kopenhagen starten. Warum also, fragten wir, können wir den Fisch nicht per Flugfracht haben? Wir brauchen mengenmĂ€ssig nicht wahnsinnig viel, und fĂŒr uns spielt es auch keine Rolle, auf welchem der vier eh geplanten FlĂŒge unsere Kisten Platz finden. Wir wĂŒrden also keinen Extraflug nach Kopenhagen verursachen, sondern lediglich die Auslastung des Fliegers steigern. Und so ist es inzwischen: Hugo Dubno beliefert uns einmal wöchentlich mit Ware von den FĂ€röern.

Das lÀuft bereits?
Ja, im direkten Kontakt vor Ort fanden wir unkompliziert und schnell eine Lösung. Aktuell habe ich auf der Karte ein Gericht mit Wildfang-Kabeljau und Seeigeln von den FĂ€röern, kombiniert mit SĂŒsskartoffel und Tomatillo.

Auch den Seeigel haben Sie auf Ihrer Reise neu kennen gelernt.
Allerdings. Ich lernte, warum mir Seeigel zuvor nicht besonders geschmeckt und ich daraus maximal Saucen oder Suppen gemacht hatte, um die IntensitĂ€t zu reduzieren. Das Problem ist, dass die Seeigel, die wir in der Schweiz bekommen, in der Regel ausgetrocknet sind. Die Exemplare auf den FĂ€röern aber waren prall gefĂŒllt mit Wasser, voller Leben: Sie schmeckten mal sĂŒss, mal salzig, mal jodig, mal fischig oder mal nussig – und das alles in einer angenehmen IntensitĂ€t. Wir planen in der Fernsicht jetzt den Bau eines Meerwasserbeckens: So können wir unter anderem die Seeigel von den FĂ€röern, die bei ihrer Ankunft bei uns 48 Stunden unterwegs waren und noch leben, weiter im Wasser lagern und die Zeit bis zur nĂ€chsten Lieferung ĂŒberbrĂŒcken.

Die Frage drÀngt sich an dieser Stelle auf: Warum brauchen Sie in Heiden Seeigel auf der Karte?
Das ist eine berechtigte Frage, die ich gern beantworte: Weil ich in der Schweiz nicht genug Produkte bekommen, die auf dem Niveau sind, das ich fĂŒr unser Gourmetkonzept verlange. Was wir hierzulande an Fisch und Krustentieren haben, ĂŒberzeugt mich nicht. Nachhaltigkeit ist fĂŒr mich genauso wichtig wie QualitĂ€t, aber ich trage nach wie vor keine Wollsocken und fahre immer noch ein Auto mit Verbrennungsmotor. Und ich lasse meinen Fisch von den FĂ€röern einfliegen. Wobei ich auf jeden Fall dafĂŒr einstehe, dass wir gegen die Überfischung der Weltmeere kĂ€mpfen und den Lebensraum der Tiere schĂŒtzen. Auf den FĂ€röern sah ich mit eigenen Augen, wie es lĂ€uft.

NĂ€mlich?
Der Fischer Marni Gunnar Simonsen, der uns auf unserem Trip begleitete, holt nur aus dem Meer, was im Vorfeld bestellt wurde: Langusten, Seeigel, verschiedene Muschelarten. Den Rest handelt er, Kabeljau, aber zum Beispiel auch Lachs, den er draussen rĂ€uchert. Seine Familie fischt seit Generationen – im Einklang mit der Natur. Und er geht sogar so weit, dass er die Leute persönlich kennen lernen will, an die er verkauft.

Welches Produkt von ihm hat es Ihnen denn besonders angetan?
Wir verkosteten eine Art, die ĂŒbersetzt 100-jĂ€hrige Muschel heisst – wobei man schon daran zweifeln darf, ob wirklich jeder Jahresring fĂŒr ein ganzes Jahr steht. Aber selbst wenn die Muschel pro Jahreszeit einen Ring bildet, wĂ€re sie noch 50. Und sie schmeckt fantastisch, sĂŒss und nussig, total ĂŒberraschend. Vom Aroma her wĂŒrde man sie nicht dem Meer zuordnen. Damit möchte ich auf jeden Fall mal etwas machen.

Im Atlantik
Die FĂ€röer sind eine zu DĂ€nemark gehörende, aber autonom verwaltete Gruppe von insgesamt 18 Inseln, die im Nordatlantik zwischen Island und Norwegen liegen. Sie erstrecken sich ĂŒber eine FlĂ€che von knapp 1400 Quadratkilometern, wobei die KĂŒstenlĂ€nge 1100 Kilometer betrĂ€gt und kein Punkt weiter als fĂŒnf Kilometer vom Meer entfernt ist. Die rund 53 000 Menschen, die auf den FĂ€röern leben (fast die HĂ€lfte davon im Gebiet der Hauptstadt TĂłrshavn) leben neben dem Tourismus ĂŒberwiegend von der Fischerei und dem Fischhandel. Kein Wunder: Im Nordatlantik sind die FĂ€röer immerhin die fĂŒnftgrösste Fischereination, weltweit rangieren sie auf Platz 25.

Im Appenzell
Im malerisch gelegenen Heiden fĂŒhrt Tobias Funke (39) einen vielfĂ€ltigen Gastronomiebetrieb: HerzstĂŒck des Gasthauses zur Fernsicht ist das mit zwei Sternen dotierte Restaurant Incantare, dazu kommen ein gutbĂŒrgerliches Lokal mit Swiss Alpine Food, eine Bar inklusive Zigarrenlounge, ein CafĂ© im Dorf, GĂ€stezimmer und im Winter ein Fondue-Chalet mit Eisbahn, an dessen Stelle heuer pandemiebedingt heimelige Fondue-Gondeln locken.
fernsicht-heiden.ch, tobiasfunke.ch



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