40 Tage

Auf das grosse Fressen folgt das Fasten – die demütige Entgiftung von Körper und Geist.
Veröffentlicht: 05.02.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2018

Fasten kann gesund sein. Nicht fasten auch.

Wenn man mehr betet und weniger frisst, dann nennt man das fasten. Die Braven unter den Christen fasten von Aschermittwoch bis Karsamstag. Im Mittelalter assen die Christen während dieser 40 Tage lediglich eine Mahlzeit täglich, meistens Znacht, und das erst noch ohne Fleisch und Milchprodukte, Alk und Eier. Heute gehen die meisten sogar noch weiter und verzichten auch auf das Fasten.

Geblieben ist, dass man in der Nacht vor der Fastenzeit, der Fasnacht, noch etwas Gutes tun möchte für die innere Balance. Zum Beispiel fressen und saufen und herumhuren. Der anschliessende Start in die Fastenzeit fällt signifikant leichter, wenn man vollgefressen und verkatert ist. Darum hat man die Fasnacht in die Länge gezogen, die Serviertöchter leichter gekleidet und das Futter schwerer gekocht.

Am Fettdienstag, Mardi Gras, genauso wie am Schmotzigen Donnerstag – Schmotz ist schwäbisch für Schmalz. Fasnachtsfutter gibts, sobald Coop und Migros die Weihnachtsschoggi abräumen, und so lange, bis sie die Verkaufsfläche wieder brauchen für die Schoggihasen. In der Fastenzeit soll nichts verschwendet werden, auch nicht Platz.

Fasten kann gesund sein. Nicht fasten auch, wie schon der Reformator Martin Luther wusste und die Sache recht pragmatisch sah: «Wenn einer fände, dass ihm vom Fasten der Kopf wüst und toll oder der Leib und der Magen verderbt würde, so soll er das Fasten ganz gehen lassen und essen, schlafen, müssig gehen, so viel ihm zur Gesundheit nötig ist.» Was übersetzt so viel heisst wie: Leute, macht euch nicht verrückt.

Papst Innozenz VIII. sah eher das ökonomische Potenzial der Fastenzeit und erfand 1486 den Butterpfenning, den man der Kirche bezahlte und dann vom Verzicht auf Butter und Milchspeisen dispensiert wurde. Vom Butterpfenning stand in der Bibel zwar bereits damals nichts. Von einer 40-tägigen Fastenzeit aber auch nichts.

Im Alten Testament findet man durchaus einiges über das Essen. Aber wenn das Alte Testament etwas getaugt hätte, dann hätte Gott der Herr wohl kaum ein Neues in Auftrag gegeben. Und dort herrscht Pragmatismus vor. Petrus zum Beispiel träumt von reinen und unreinen Tieren, und wie Gott der Herr ihm im Traume sagt: «Schlachte und iss. Was Gott erlaubt, musst du nicht verbieten.»

Petrus’ Berufskollege Paulus fand: «Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst und forscht nicht nach, damit ihr das Gewissen nicht beschwert.» Und überhaupt: «Lasst euch von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank.»

Kein schlechtes Gewissen. – Der Mann hatte keine Ahnung von Massentierhaltung, Überfischung, Pestiziden, Antibiotika, CO2-Bilanz und ausgebeuteten Kakaobauern. Unsereins steht im Fleischmarkt, erforscht Herkunft und Inhalt und kämpft gegen ein schlechtes Gewissen. Dafür braucht es keine herkömmlichen Götter oder Päpste mehr. Es reicht, mit halbwegs wachen Augen durch den globalisierten Kapitalismus zu gehen.

Arm dran sind die Gesundheitsgläubigen. Die haben ihren Gott immer dabei, der sie auf Tritt und Schritt (10 000 pro Tag sind empfohlen) kontrolliert. Ihr Leben ist ein Lobgesang zu Ehren ihres reinen Körpers, erfüllt mit Ritualen aus Sport, Hygiene und Schönheit. Und das Kochen und Essen ist zur heiligen Messe geworden, als Speiseregeln gelten die wissenschaftlichen Studien. Und wenn die Gesundheitsreligion die Taufe kennen würde, die Gläubigen würden ihre Kinder im grünen Algensmoothie eintauchen.

Die Berufskrankheit von Gläubigen aller Couleur ist die spirituelle Überheblichkeit. Das geht auch den Ernährungsgläubigen so. Sie heben sich gerne ab von den Ernährungsatheisten, die jeden Mist in sich hineinstopfen, der drei Cent billiger und eine Minute schneller verzehrfertig ist. Stolz berichten sie von ihren demütigen Selbstgeisselungen in Form von Detoxaktionen, Entschlackungen als Busse für begangene Futtersünden oder auch nur vom Verzicht auf Fleischeslust.

Selig sind, die reinen Darmes sind. In der christlichen Fastenzeit geht es zwar ebenfalls um demütige Selbstreinigung, aber im Herzen, nicht in Dick-, Dünn-und Enddarm und den dazugehörenden gottgleich wichtigen Bakterienkulturen.

Zum christlichen Fasten gehört nebst Busse und Verzicht allerdings noch ein Element der Dankbarkeit: das Almosen-geben. Das Fastenopfer. Beispielsweise der Gegenwert des eingesparten Mittagessens. Die Gesundheitsgläubigen können sich das natürlich nicht mehr leisten, die geben schon ein Vermögen aus für Ergänzungsstoffe, Entschlackungssets und andere Heilsbringer.

Aber die billig einkaufenden Ernährungsatheisten – oder auch nur die Pragmatiker, die vor allem dann gesund einkaufen, wenns grad Aktion ist –, die könnten doch nun während der 40 Tage vor Ostern auf ihre Weise ein Fastenopfer bringen. Sie könnten einmal 40 Tage lang etwas weniger essen, dafür aber bio und fairtrade einkaufen. Und, als krönender Abschluss, mal auf einen Bauernmarkt gehen statt in die Migros oder den Coop.

Fairtrade zu kaufen, sollte man zwar nicht als Almosen betrachten, sondern als selbstverständliche Respektbezeugung gegenüber den Herstellern. Aber dem Kleinbauern ist das Motiv der Konsumenten wohl herzlich egal, solange er einen fairen Preis bekommt. Ein Fastenopfer kann also auch für die Sinn ergeben, die nicht an einen Gott glauben, aber an die Menschen.



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