Anschnitt

Gastronomische Trennlinien

Natürlich muss sich die Gastronomie am Weltklimaretten beteiligen. Für die Gäste ist es eine gute Nachricht, wenn nicht immer nur weit gereiste Edelprodukte auf den Tellern landen, sondern Regionales, Saisonales und nachhaltig Veredeltes. Ein­fallsreiche Köchinnen und Köche klären über das komplexe Potenzial von einfachen Produkten auf – nicht belehrend, dafür wohlschmeckend. Das ist gut so, denn die Gewohnheit, weit gereistes, asaisonales Gemüse zu Hause auf die Teller zu legen, wird im Zuge dessen hinterfragt.

Für Schnitzelrestaurants gilt das nicht. Dafür sterben Tiere fast for food das ganze Jahr. Dieses Dilemma versuchen pflanzen­ basierte Surrogate zu umgehen. Dafür jedoch werden Tonnen von Hülsenfrüchten und Ölsaaten ausgeschlachtet, um ihnen ihr Filetstück, das Protein, zu entreissen. Gereinigt, entbittert, texturiert, aromatisiert und paniert landen sie schliesslich kun­den-­ und systemküchenfreundlich verpackt in Recyclingkartons: gutes Gewissen garantiert, Serviervorschlag inklusive.

Auch hochdekorierte Köche, etwa die prominente Berliner Schnauze Tim Raue, helfen in der Entwicklung kräftig mit und adeln den Fleischersatz. Aber warum? Marketing? Zeitgeist? Hochverarbeitete Produkte werden nicht besser, wenn Sterne­köche ihr Know­-how zur Geschmacksverbesserung einbringen. Auch wenn sich der Fleischverbrauch damit etwas reduzieren lässt, bleiben solche Convenience-­Produkte frei von natürlichen Foodmatrices. Jedes Original, ob Hülsenfrucht oder Nuss, kann vor der Proteinextraktion kulinarisch und ernährungsphysio­logisch weit mehr als das beste Biokunstschnitzel. Das darf, Trend hin oder her, nicht vergessen gehen. Davon zeugen die veganen Menüs vieler Spitzenköchinnen und ­-köche. Diese weisen mit ihrem handwerklichen Können den besten Weg zum gesunden, nachhaltigen Genuss.

Thomas Vilgis

Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ausgabe: Salz & Pfeffer 2/2023 / Datum: 04.04.2023


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