Perfektionisten unter sich

In einer der spektakulärsten Hotel-Neueröffnungen Europas kocht einer der am besten geschulten jungen Schweizer Köche. Cornelius Speinle passt zur Metropole in Meeresnähe. Auch wenn die Fischbeschaffung in Hamburg viel schwieriger ist, als sich Laien vorstellen.
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: z. V. g.
Veröffentlicht: 04.02.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2019
Von links: John Ho, Cornelius Speinle und David Pérez

Die Gäste waren vermutlich in Feierlaune am 8. Dezember des vergangenen Jahres, freuten sich auf ein vorweihnachtliches Menü im neuen Hamburger Luxushotel The Fontenay. Doch während der eine oder andere Kunde schon an der Auswahl der Krawatte tüftelte, musste Cornelius Speinle eine dramatische Entscheidung treffen. Kranke Köche und eine Verletzung führten zu einem eklatanten Mangel an Mitarbeitern in der Küche des Restaurants Lakeside, ganz oben im Hotel.

Also wie weiter? Einfach mal fünfe gerade sein lassen und die Gänge rausprügeln, Fehler und Wartezeiten einkalkulieren? Köche aus dem Erdgeschoss-Zweitrestaurant auf die Schnelle nach oben dirigieren? Der Schweizer Küchenchef entschied, den Abend abzusagen. Keine Experimente. Auf die Schnelle wurden die Gäste kontaktiert, fast alle konnten untergebracht werden in anderen Hamburger Toplokalen. Die Kollegialität sei gross gewesen, sagt Speinle.

Nach ähnlichen Begebenheiten kann man in der Branche lange suchen, derartiger Perfektionismus ist auch auf Sterneniveau unüblich. Doch mit offenen Karten zu spielen, schien eine gute Idee. Gerade hier, im neuen The Fontenay, das seit der Eröffnung 2018 argwöhnisch begleitet wird.

Investor Klaus-Michael Kühne ist zwar im Norden geboren, hat seinen Wohnsitz aber in die Schweiz verlagert. Ein Perfektionist soll er sein, erzählen sich die Hamburger, einer, der dem von ihm unterstützten Fussballclub Hamburger SV höchste Leistungen abringen will und auch in der Beherbergungsbranche hohe Ziele vorgibt. Das beste Hotel Deutschlands wolle er eröffnen, hat er mal einer Lokalzeitung gesagt. Druck aufbauen – das kann Kühne.

Doch Chefkoch Speinle ist viel zu erfahren, um sich von der steifen Nordseebrise wegwehen zu lassen. Auch so kurz vor dem Erscheinungstermin des neuen Guide Michelin wirkt er locker. Dass der 32-Jährige enttäuscht wäre, wenn es am 26. Februar nicht wenigstens für einen Stern reichte, darf man vermuten – aber anmerken lässt er sich nichts. Und warum nicht zwei Sterne? Angesichts der finessenreichen Gänge, in Anbetracht des handverlesenen Teams.

Fast alle seien noch mit dabei, sagt Speinle, und das sei ja keine Selbstverständlichkeit in der Branche. Auch die beiden Souschefs bleiben. John Ho, mit dem Speinle zuvor in London gearbeitet hat, David Pérez aus der Schweiz. Englisch spricht man in der Küche des Lakeside, es passt zur grossen Welt, die Hamburg immer schon sein wollte und immer mehr ist. Spätestens seit der Eröffnung der Elbphilharmonie und seit der Etablierung des dreifach besternten Restaurants des Kochs Kevin Fehling (The Table) schliesst die Hansestadt zu anderen europäischen Metropolen auf.

Im Nachhinein muss man feststellen, dass Speinle längst über die Provinz hinausgewachsen ist. Schlattingen, wo er 2014 mit viel Engagement die Dreizehn Sinne im Huuswurz eröffnete, war wohl doch zwei Nummern zu ländlich. Keiner konnte sich Speinle auf Dauer als Landgasthof-Wirt vorstellen. Jenen Mann, der schon als Grünschnabel in die Höhlen der Löwen geklettert war – ins Basler Les Quatre Saisons, in eines der besten Drei-Sterne-Restaurant Deutschlands, zu einer Londoner Legende, nach Singapur.

Fragt man ihn nach Adressen im asiatischen Stadtstaat, rattert er gleich etliche herunter, Nicht nur die edlen, auch die Insidertipps, die, in denen man nach Mitternacht wunderbar zubereitete Krebse essen kann. Die vibrierende Atmosphäre Singapurs mit seinen bis zum frühen Morgen geöffneten Food Courts, sie lag Speinle. Hamburg kommt da wenigstens ein bisschen ran.

Kürbis, Sanddorn und weisse Schokolade
Messermuschel mit Aromen der Bouillabaisse, französische Auster mit Soja, Ponzu und Yuzu

Beim Einkauf allerdings war die Sache schwieriger als gedacht. Einfach zum Fischmarkt gehen, einem der Touristenziele der Stadt, und den Fang des Tages erwerben? Eher nicht. Höchste Qualität zu bekommen, sagt Speinle, sei in diesem Segment alles andere als simpel. Das habe er sich leichter vorgestellt in einer Stadt, von der aus im Nu das Meer erreicht wird.

Zweitklassige Ware zu verwerten, wäre freilich undenkbar. Speinle kämpft um das Beste, findet es und richtet es mit Verve an. Schon der Einstiegshappen mit Meerrettich und Rotkohl, ein federleichtes violettes Juwel, liegt dramatisch anmutend auf dem weissem Teller. Dann Kaisergranat von den Färöern mit einem Schaum von Jalapeños und Chorizo. Aromatisch verführerisch, durch die leichte Schärfe munter machend. Die eigene Handschrift blitzt durch.

Die Garnelen aus einer Zucht an der Kieler Förde sind so gut, dass man sie auch roh reichen darf, und das Kalbsbries mit Salzzitrone und Shiitake zeugt von einem tiefen Verständnis der Materie. Speinle ist ein Tüftler, der lange nachdenkt, sich aber auch inspirieren lässt. Die Rotbarbe mit ihren aufgeknusperten Schuppen, mit schwarzem Knoblauch und Tomate, gab es in ähnlicher Art auch schon einmal anderswo, weshalb ein deutscher Blogger nach ihrem Verzehr Plagiat rief.

Noch mehr Druck. Doch Speinle lässt sich nicht irritieren. Weder von der Tatsache, dass es auf der hübschen Terrasse des Lakeside viel zu windig ist, um, wie einst angedacht, Speisen zu servieren. Noch von der am Anfang mangelhaften Beleuchtung der Tische. Lieber denkt er über Details nach. Über jene winzige geschmackliche oder auf die Textur bezogene Irritation, die ein harmonisches Gericht erst spannend mache. Über die Art und Weise, wie die Gerichte präsentiert gehören.

Es geht ja schliesslich nicht nur um süss und salzig, bitter und sauer, es geht auch um Optik. Dunkles, gar schwarzes, von den Speisen ablenkendes Porzellan ist nicht Speinles Sache. Man wisse, so der Chef, dass Speisen, die im 45-Grad-Winkel angerichtet würden, dem Gast am besten gefielen.

Dass die Weine am eindrücklichsten sind, wenn sie mit Charme und Fachkenntnis gleichzeitig serviert werden, hat sich ebenfalls gezeigt. Sommelière Stefanie Hehn, eine der Besten, setzt auf Persönlichkeit statt grosse Namen, auf Überraschungen. Was sie an älteren Jahrgängen an Land gezogen hat, verblüfft, die Preise sind unerwartet günstig. Wobei es nun wohl endgültig Zeit ist, den von Investor Kühne im Übermut herausposaunten Satz mal zu kassieren.

Das The Fontenay ist, schon weil das Frühstück nicht herausragt, der Kaffee bloss passabel ist und der Hoteldirektor allzu sehr im Verborgenen agiert, mitnichten das beste Hotel der Bundesrepublik. Das Lakeside indes als eines der preiswertesten Gourmetrestaurants Deutschlands zu benennen, dürfte keinen ernsthaften Widerspruch auslösen.

Das Lakeside befindet sich im Hotel The Fontenay in Hamburg. Die kleine Gourmetreise (fünf Gänge) kostet 142 Euro, das grosse Programm (sieben Gänge) ist für 165 Euro zu haben.

Restaurant Lakeside
Hotel The Fontenay
Fontenay 10, 20354 Hamburg, Deutschland
+49 40 6056 6050
www.thefontenay.de

Cornelius Speinle
Der 32-jährige Cornelius Speinle wurde in Neuhausen am Rheinfall geboren und absolvierte beides – eine solide Ausbildung in der Schweiz (Theaterrestaurant in Schaffhausen) sowie eine aussergewöhnliche Fortbildung in Basel (Les Quatre Saisons) und im Ausland: im Gästehaus Erfort in Deutschland, im Jaan par Andre in Singapur sowie im The Fat Duck des Molekularkochs Heston Blumenthal nahe London.

Hamburg – die neue Gourmetmetropole
Drei Sterne können unter den deutschen Metropolen nur München und Hamburg bieten. The Table nennt sich das höchstbewertete kleine Restaurant von Kevin Fehling in der Hafencity, ein paar Schritte von der Hamburger Elbphilharmonie entfernt. Die Gäste sitzen hier am Tresen, die Plätze sind auf Monate hinweg vergeben. Als Kandidat für den dritten Stern gilt seit einigen Jahren auch Christoph Rüffer vom Haerlin im Vier Jahreszeiten – nur ein paar 100 Meter vom The Fontenay entfernt.



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