Tafel statt Tonne

Drei Spitzengastronomen aus Kopenhagen haben ein System entwickelt, mit dem sie aus vermeintlichem Abfall Schoggi herstellen. Ihre Absichten sind hehr, die Ziele hochgesteckt.
Text: Lothar J. Lechner Bazzanella – Fotos: Cory Smith
Veröffentlicht: 13.02.2024 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2024

«Anfangs schmeckte es wirklich scheusslich. Nach Dreck, Erde oder Karton.»

Zuerst war da ein Ei. Genauer gesagt Hunderte, ach Tausende. Monatelang erprobte das Team des Kopenhagener Spitzenrestaurants Amass, was man mit kiloweise glibberigem Eiweiss anstellen sollte. «Für eins unserer Gerichte brauchten wir nämlich nur den Dotter. Doch Foodwaste war ein absolutes No-Go», erinnert sich der damalige Küchenchef Max Bogenmann. Eine Lösung musste her. «Wir tüftelten und wollten mithilfe von Fermentierung aus den Eiern ein Garum machen, also die typische Würzsauce des antiken Rom.» Am Ende hatte das Team eine klare, haltbare Flüssigkeit mit ordentlich Umami kreiert. «Ein Augenöffner. Wir hatten aus vermeintlichem Abfall etwas verdammt Hochwertiges hergestellt», erzählt Bogenmann. Weitere Experimente folgten. Etwa ein süsser Sirup aus altem Brot. Daraus wiederum eine Glace. «Bis heute verwandelten wir mehr als zwei Tonnen Brot, das sonst in der Tonne gelandet wäre, in über 100 000 Popsicles.»

Das Restaurant Amass hat seine Türen mittlerweile geschlossen. Die Idee, aus Foodwaste erstklassige Produkte herzustellen, haben sich drei ehemalige Mitglieder des Lokals jedoch erhalten: Mathew Orlando, einst Küchenchef im Noma und Gründer des Amass, Christian Bach, dort für Kommunikation und Vertrieb zuständig, sowie der bereits genannte Max Bogenmann. Zusammen gründeten die Spitzengastronomen Ende 2022 die Endless Food Company. «Unser Antrieb: der zirkuläre Gedanke einer Kreislaufwirtschaft sowie die unendlich vielen Möglichkeiten, aus Nebenprodukten oder sogenanntem Abfall etwas mit Mehrwert herzustellen», erläutert Bogenmann.

In der Nachbarschaft des Amass stand damals eine Bierbrauerei, in der wie gewohnt Hopfen und Malz fermentiert wurde. Ein typisches Nebenprodukt ist dabei der Treber, also die festen Rückstände nach dem Maischen. «Daraus wird meistens Tierfutter oder Biogas gemacht. Wir wollten mehr», erklärt Bach. Die Endless Food Company hatte ein Produkt zum Vorbild, das wohl wie kein zweites für die süsse Versuchung steht: Schokolade. «Wer sich ernsthaft mit deren Produktion beschäftigt, weiss, dass hier vieles schiefläuft. Der Markt ist in der Regel schlecht für Natur, Klima, Bauern und Konsumentinnen. Wir wollen eine Alternative bieten, die dringend notwendig ist», so Bach weiter.

Jahrelang wurden Ideen skizziert und wieder zerrissen, Prototypen getestet. Und gekostet. «Anfangs schmeckte es wirklich scheusslich. Nach Dreck, Erde oder Karton. Es überzeugte niemanden», erzählt Bogenmann. Bis schliesslich ein Produkt in den Händen der dreien lag, das in Aussehen und Geschmack ziemlich nah an das herankam, was wir unter Schokolade verstehen. «Rein rechtlich gesehen, dürfen wir unser Produkt nicht so nennen. Es heisst Thic.» Kurz für: This isn’t chocolate. Dabei kann Thic gegenüber Schoggi ordentlich auftrumpfen. «Nicht nur nutzen wir ein Abfallprodukt, wir brauchen dafür ausserdem keinen Kakao, können alle Zutaten lokal beziehen.» Das macht das Produkt umweltfreundlicher. Und günstiger. Ausserdem ist Thic frei von tierischen Fetten oder Palmöl.

Die drei Gastronomen wissen um das Potenzial ihres süss-klebrigen Juwels. Der Prozess für die Patentierung ihrer Methode ist hängig. So viel können sie an dieser Stelle allerdings bereits verraten: «Wir sind extrem stark von der traditionellen Schokoladenherstellung beeinflusst und verwenden viele ähnliche Geräte. Dazu kommen jedoch einige Elemente aus dem Fine Dining – wie etwa unser Spiel mit der Fermentation», erklärt Bogenmann. Dennoch wollen er und seine Kollegen kein Nischenprodukt herstellen, das ausschliesslich im Vakuum der Spitzenküche Anklang findet.

Derzeit liefern sie ihre gesamte Produktion an Restaurants und Bäckereien in Kopenhagen. Doch schon bald sollen andere Länder folgen. Portugal und Schweden zuerst. «Wir nutzen vor allem unser riesiges Netzwerk in der Gastroszene. Das hat mehrere Vorteile: Unser Produkt wird bekannter, wir holen uns wichtiges Feedback von Spitzenköchinnen und Experten und wir stellen sicher, dass alles wirklich einwandfrei passt, bevor wir in eine grössere Produktion gehen», erklärt Bach. Wann darf man also mit der ersten Thic-Schoggitafel im Supermarktregal rechnen? «Auf kurze Sicht ist das gar nicht unser Plan. Wir möchten mit Thic vor allem Firmen oder Restaurants beliefern, die damit dann ihre eigenen Produkte aufwerten. Wir wollen zum Gore-Tex der Schokolade werden.»

Endless Food Company
Holbergsgade 7, st 1057 Kopenhagen, Dänemark
endlesscph.com



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