Bergell im Beutel
In ihrer kleinen Manufaktur verarbeitet Monika Müller, was «ihr» Bündner Tal kulinarisch hergibt. Die jüngste Kreation der Tüftlerin: ein würziger Tee aus dem schmalblättrigen Weideröschen, nach traditionellem Vorbild gebraut.
«Die Traubenkernöle aus je fünf weissen und roten Rebsorten überraschen in ihrer Vielfalt.»
Seien wir ehrlich: Traubenkernöle geniessen nicht unbedingt den Ruf, kulinarisch besonders spannend zu sein. Dass sie punkto Nachhaltigkeit und ganzheitlicher Verwendung eines Lebensmittels eine super Sache sind – geschenkt. Aber was die geschmackliche Raffinesse betrifft, bleibt der Enthusiasmus überschaubar. Nun tritt allerdings Cédric Wüthrich an, dies zu ändern. Der findige Ölmüller aus Bern hat neu zehn sortenreine Traubenkernöle im Sortiment – eine Schweizer Premiere, die aromatisch einiges zu bieten hat.
Wüthrichs Manufaktur befindet sich im Hinterhof der Alten Feuerwehr Viktoria in Bern. Hier stellt der dezidierte Rohkostverfechter verschiedene Nussmuse und Trockenprodukte her – sowie eben seine inzwischen 35 kaltgepressten pflanzlichen Speiseöle, für die er hauptsächlich Zutaten von Schweizer Biobauern verarbeitet. Sein Ruf eilt Wüthrich voraus; nicht nur unter ernährungstechnisch Gleichgesinnten, sondern auch in der Gastronomie. Simon Sommer, Titelkoch dieser Ausgabe, gehörte zu seinen regelmässigen Abnehmern, als er noch im Schöngrün arbeitete, und greift auch heute noch ab und zu auf die lokalen Öle zurück. In Zürich stehen Wüthrichs Erzeugnisse zum Beispiel in der Küche von Equitable-Chef Fabian Fuchs. Und Drei-Sterne-Koch Andreas Caminada in Fürstenau durfte Wüthrich ebenfalls schon beliefern. Mit seiner neusten Kreation, sorgfältig abgefüllt in 40-Milliliter-Flaschen, dürfte der Ölmüller die Aufmerksamkeit der Schweizer Profiköche erneut auf sich ziehen: «Hier steckt richtig viel drin», wirbt er gleich selbst. Und meint nicht nur Material, sondern auch Arbeit.
Tatsächlich ist der Aufwand beträchtlich (und relativiert den Preis von 14 Franken pro Fläschchen schnell). Wüthrich bezieht die nach Rebsorte separierten Traubenkerne von Demeter-Winzer Bruno Martin in Ligerz. Wenn der Weinbauer den Saft aus den Früchten presst, bleibt Trester übrig, der in der Regel unbeachtet auf dem Kompost, im Brenner oder in der Biogasanlage landet. Im Auftrag von Wüthrich nun trocknete Landwirt Stefan Brunner aus Aarberg den Trester und gewann daraus durch die anschliessende Säuberung in viel Handarbeit die Traubenhäute (rund 60 Prozent) sowie die -kerne. «Pulverisiert eignet sich die Haut wunderbar als Zusatz im Salat oder im Müesli», sagt Wüthrich. Die Kerne indes gelangten in etlichen nummerierten Säcken nach Bern, wo sie in Wüthrichs Manufaktur zwei Jahre lang reiften. «Jetzt sind sie perfekt», sagt der Ölmüller. Nach und nach presst er sie nun in Chargen à eineinhalb Kilogramm. «Ich produziere nicht auf Vorrat, kann das sortenreine Traubenkernöl bei Bedarf aber innert einer Woche herstellen.» Wie bei all seinen Produkten achtet Wüthrich darauf, dass sie zu keinem Zeitpunkt auf über 40 Grad Celsius erhitzt werden. Übrigens: 90 Prozent des Gewichts der sauber geputzten und getrockneten Samen landen nicht in der Flasche, sondern entfallen bei der Ölproduktion auf den Presskuchen. Ganz im Sinne der kompletten Verwertung der Pflanze sieht Wüthrich auch dafür eine Verwendung: «Das ist fantastisches Brennmaterial.»
Aber nicht nur vom ökologischen Gesichtspunkt her ist spannend, was sich Wüthrich da ausgedacht hat, sondern eben auch sensorisch. Die Traubenkernöle aus je fünf weissen und roten Rebsorten überraschen in ihrer Vielfalt. «Die Aromen der verschiedenen Trauben kommen wirklich zur Geltung», schwärmt Wüthrich selbst – und denkt bereits über Versuche mit weiteren Sorten wie beispielsweise Muscat oder Gewürztraminer nach. Ob für die Dessertküche (das Kernöl der Regent-Traube schreit förmlich nach Schokolade), zum gedämpften Gemüse oder zur Aromatisierung einer Mayonnaise: Die neuen Berner Kernöle verdienen durchaus eine Hauptrolle. Und sie bieten in der Gastronomie eine Steilvorlage fürs Storytelling – zum Beispiel als Pairing-Komponente auf dem Teller zur passenden Traubensorte im Glas.
Öle mit Charakter
Beim Verkosten der sortenreinen Traubenkernöle von Cédric Wüthrich zeigt sich deren Potenzial rasch: Die Essenzen sehen nicht nur verschieden aus, sondern schmecken auch individuell. Grundsätzlich unterscheiden sich die fünf weissen von den fünf roten Varietäten: Erstere schmecken milder, während Letztere über mehr Pep und Intensität verfügen. Aber auch innerhalb der «Farbfamilien» gibts spannende Nuancen.
Die Weissen – Das Kernöl der Charmont-Traube schmeckt fruchtig, jenes der Bianca besticht mit mehr Säure. Das ChardonnayKernöl mit leicht nussigem Touch und seiner Primäraromatik bietet sich als Würze in einer Mayonnaise an. Die Seyval-Blanc-Traube verleiht dem Öl etwas mehr grüne Noten, und die Johanniter-Varietät präsentiert sich, ohne Ecken und Kanten, am Gaumen besonders samtig.
Die Roten – Weil die Blanc-de-Noir-Traube wie eine weisse Sorte gekeltert wird und also nicht vergoren ist, schmeckt ihr Kernöl vergleichsweise dezent. Deutlich gehaltvoller kommt die Variante aus Grauburgunder daher, wobei Pinot noir und Regent in Sachen Kernigkeit und Kraft Spitzenreiter sind. Beide Rebsorten punkten mit charakteristischen Noten und passen beispielsweise gut zu Schokolade. Das Kernöl der Marechal Foch schliesslich «schnäpselt» regelrecht – und lässt kurz Zweifel aufkommen, ob es sich dabei tatsächlich um ein (alkoholfreies) Öl handelt.
Fazit – Unter den weissen Sorten tut sich das Chardonnay-Kernöl mit seinem geschmacklichen Wiedererkennungswert besonders hervor. Bei den roten Varianten versprechen Pinot noir und Regent den grössten Mehrwert auf dem Teller.
Zehn Sorten in kleinen Mengen
Köche, die sich für die sortenreinen Traubenkernöle von Cédric Wüthrich interessieren, melden sich am besten bei ihm direkt. Erhältlich sind derzeit die Öle von jeweils fünf weissen und roten Rebsorten (Charmont, Bianca, Chardonnay, Seyval Blanc und Johanniter respektive Blanc de Noir, Pinot gris, Pinot noir, Regent und Marechal Foch). Die kaltgepressten Speiseöle sind in Flaschen à 40 Milliliter abgefüllt und kosten je 14 Franken.
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