Wie kann die Gastronomie dazu beitragen, der Schweiz als Ganzes ein kulinarisches Gesicht zu geben?
Sie kann im Prinzip nichts anderes machen als bisher.
Nicht?
Nein, sie wird sich gegen die natürliche Entwicklung nicht wehren können und sitzt in einem Zug, der längst angefahren ist. Die regionale Identität hängt übrigens auch mit der Individualisierung des Tourismus zusammen. Vor 20 Jahren fuhr man nach Mailand und bestellte im Restaurant einen Bordeaux oder orderte in Lyon einen Barolo. Heute ist das unvorstellbar. Auch in der Schweiz zeigt sich das: Unter der Käseglocke findet man heute keine französischen Käse mehr, wie das noch vor zehn Jahren Usus war. Allerdings stecken die Spitzenköche in einem Dilemma.
In welchem?
Sie befürchten, dass übermorgen wieder exotische Früchte im Trend sein werden. Ich behaupte aber: Das ist gar kein Problem, kein Widerspruch in sich. Von einem Schweizer Koch erwarte ich, dass er die Vielfalt an heimischen Äpfeln berücksichtigt. Die Ananas oder Mango kann er aber sonst woher holen. Ich finde es richtig, Lebensmittel, die man hier nicht hat, zu importieren. Jede nationale Küche ist von ausländischen Einflüssen geprägt.
Bleiben wir beim Zug, der angefahren ist. Wie sollen Schweizer Köche agieren, um vorwärts zu kommen und nicht auf der Strecke zu bleiben?
Daran kann jeder für sich arbeiten. Fakt ist, dass sich die Topspitze der hiesigen Gastronomie damit noch schwer tut. Man muss aber auch sehen, dass kein Schweizer Koch international in den vergangenen zehn Jahren nur annähernd ein Vorreiter war. Das waren die Skandinavier, die Spanier und in geringerem Masse die Franzosen und Italiener. Die Schweizer waren kulinarisch nie Pioniere. Aber sie haben ein enormes Potenzial dazu.
Wie meinen Sie das?
Gerade die alpine Küche ist so vielseitig. Dabei nimmt es wohl kaum jemand einem Schweizer Koch übel, wenn er auch ein Produkt aus dem Aostatal, dem Südtirol oder dem Vorarlberg verwendet – die Landesgrenzen sind nicht ausschlaggebend. Das Potenzial wäre also gross. Nur haben wir das Problem, dass 90 Prozent der Gastronomie in der Schweiz eine CC-Küche betreibt. Wenn alle den vormarinierten feurigen Zigeunerspiess mit Rüebli-Erbsli-Schwarzwurzeln aus der Büchse auftischen, kommen einem schon Zweifel, obs eine Schweizer Küche gibt. Der CC-Drall der Gastronomie ist zerstörerisch. Wobei ich gestehen muss: Dieser Bereich der Branche interessiert mich nicht. Es wird ihn immer geben, und er deckt – wie seichte Volksmusik – bestimmt ein Bedürfnis, aber da bin ich elitär. Klar: Es werden niemals alle nur die besten Produkte haben wollen. Immerhin wächst aber das Interesse daran, woher diese kommen. Und es braucht eine kritische Elite, die auf das Thema aufmerksam macht und es zelebriert.
Wie relevant ist die Produzentenseite, wenns um die kulinarische Identität der Schweiz geht?
Es gibt in der ganzen Schweiz Bemühungen, Produzenten und Köche zu vernetzen, was enorm wichtig ist. Die Produzenten, die in der Schweiz erfolgreich sind, haben eins gemeinsam: Sie suchen den Kontakt zu den Köchen.
Und das ist der Schlüssel zum Erfolg?
Nun ja: Köche sind Multiplikatoren. Sie sind es, die den unaufhaltbaren Trend in Richtung regionale Produkte prägen. Klar, Meeresfische und gewisse Luxusprodukte werden in der Schweizer Gastronomie weiter eine Rolle spielen, aber gerade im Spitzenbereich sehe ich bei allen Schweizer Köchen das Bestreben, heimische Produkte aufzutischen. Sie servieren hiesige Trüffel statt solche aus Alba – und rühmen sich dafür. Das birgt für die Produzenten eine Chance, die es zu nutzen gilt.
Nur hat der Koch kaum Zeit, sich ständig nach passenden Produzenten umzusehen.
Das ist das Problem. Grundsätzlich sind die Köche an guten Produkten aus der Umgebung interessiert. Jeder möchte mit Wildpflanzen kochen, zum Beispiel, das ist für mich bewiesen. Nur hat kaum einer die Musse, diese zu sammeln. Also müssen die Produzenten, zu denen ich auch einen Fischer oder einen Imker zähle, das, was sie zu bieten haben, an die Köche herantragen. Und das ist viel, denn – bei allem Gejammer – ich orte in der Schweiz im Produzentenbereich eine unglaublich innovative Kraft. Da wird wieder geräuchert, werden alte Sorten angebaut oder wird die Vielfalt an Tierrassen gefördert. Schön. Da ist das Interesse bei den Köchen garantiert, und zwar nicht mehr nur, weil es um Trends geht, sondern aus einer grundsätzlichen Neugier heraus.
Wie meinen Sie das?
Ein junger Koch von heute kennt einiges; im Rahmen seiner Lehr- und Wanderjahre war er in Skandinavien, den USA, vielleicht in Hongkong oder Russland und lernte allerlei exotische Produkte kennen. Dann kehrt er zurück – und hat keine Ahnung, womit er hier arbeiten soll.
Wir bräuchten also Lehr- und Wanderjahre in der Heimat.
Solche wären wichtig. Nur haben wir in der Schweiz zurzeit weder an den Hotelfachschulen noch im Bereich der Weiterbildung entsprechende Möglichkeiten. Immerhin ist dank Köchen wie Stefan Wiesner oder Meret Bissegger aber ein Netzwerk entstanden, das dafür sorgt, dass man sich dieses Know-how auch hierzulande holen kann. Wenn sich die Produzenten jetzt noch trauen würden, auf die Köche zuzugehen ...
Sie selbst vermitteln mit Ihren Büchern oder im direkten Kontakt mit Köchen viele spannende Adressen. Machen Sie sich keine Sorgen, dass ein von Ihnen empfohlener Kleinproduzent einer grösseren Nachfrage gar nicht gewachsen sein könnte?
Dieser Gefahr bin ich mir bewusst, doch. Und es gibt Adressen, die ich für mich behalte, um die Leute zu schützen. Da verhalte ich mich wie ein Pilzsammler: Gewisse Standorte bleiben mein Geheimnis. Trotzdem bin ich mit meinen Informationen gern grosszügig. Schliesslich habe ich ein Interesse daran, Köche und Produzenten zu vernetzen – ganz einfach darum, weil sie gemeinsam ein enormes Potenzial besitzen.