Raus aus der Komfortzone

In Kopenhagen lernte Simon Schneeberger, was die Neue Nordische Küche kann und was nicht. In Winterthur setzt er sich klare Grenzen – im Wissen, dass er sie überschreiten wird.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 20.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2016

«Ich bin überzeugt, dass dazu mehr gehört als ein Bart, ein paar Tattoos und schönes Design.»

Nach drei Wochen schmissen Sie Ihre Stage im «Noma» hin. Was war so schlimm?
Simon Schneeberger: Die Ernüchterung. Im Vorfeld hatte ich mich irrsinnig gefreut, und dann merkte ich, dass ich nichts weiter bin als eine billige Arbeitskraft, die Thymianblättchen zupft und Baumnüsse schält. Von 65 Leuten in der Küche sind 45 Praktikanten, die nicht nur ohne Lohn arbeiten, sondern sogar draufzahlen, weil nicht einmal die Logis übernommen wird. Und Kopenhagen ist mindestens so teuer wie Zürich. Ausserdem gabs einen Souschef, der im Gordon-Ramsey-Style die Leute plagte: Von «Schwuchtel» bis «behindert» wurde ich alles genannt. Am 22. September 2014 besuchte mich meine Schwester, um meinen Geburtstag zu feiern, und ich bekam von René Redzepi das Okay, mit ihr essen zu gehen. An besagtem Abend machte mich der Souschef deswegen vor versammelter Belegschaft zur Sau. Ich legte meine Schürze ab, packte meine Messer und kehrte nicht mehr zurück. Auch ein Koch braucht ein Minimum an Sozialkompetenz.

Als Glücksfall entpuppte sich Ihre nächste Station: Im «Studio», sagen Sie, machten Sie mitunter Ihre besten Erfahrungen.
Es war meine erste richtige Erfahrung im Spitzenrestaurant, ja. Ich lernte ungeheuer viel; was die Neue Nordische Küche eigentlich ist, mit all ihren Kräuterölen und ihrer eigenen Art des Anrichtens, was Prozesse, Techniken und Hygienestandards angeht, aber auch menschlich. Küchenchef Torsten Vildgaard fordert seine Mitarbeiter auf eine gute Weise.

Wie denn?
Torsten ist ein zwei Meter grosser Hüne, der einen auf den ersten Blick einschüchtern mag, der aber der liebste Mensch ist, den es gibt. Er ist auf dem Boden geblieben und zollt jedem Respekt.

Sie schwärmen von der Gastroszene Kopenhagens. Was unterscheidet diese von, sagen wir mal, Zürich?
Der grosse Unterschied ist, dass Touristen explizit fürs Essen nach Kopenhagen reisen. Dank des «Noma» gibt es ein Publikum, das für kulinarische Konzepte offen ist, was ganz andere Chancen eröffnet. Ich litt, als es um die Entscheidung ging, in die Schweiz zurückzukehren, ich wollte nicht weg. Aber ich wünschte mir schon immer ein eigenes Lokal. Die Chance hier ist einmalig.

Inwiefern werden Ihre Erfahrungen im Norden ins «Fritz Lambada» in Winterthur einfliessen?
Nordisch ist sicher die Abkehr vom A-la-carte-Angebot. Ich werde das Menü vorgeben – und nirgends festhalten. Für den Schweizer ist das bestimmt eine erste Hürde; dass er nicht selbst entscheiden kann. Mir gehts hauptsächlich darum, dass ich ultrasaisonal und regional arbeiten will.

Ihre magische Grenze liegt bei 50 Kilometern.
Das dürfen Sie so aber nicht schreiben.

Nicht?
Na ja, Sie dürfen schon – ich werde mich nur nicht ganz immer daran halten. Ich will nicht dogmatisch sein, möchte einmal im Jahr meine reifen Bergamotten in Italien kaufen und einmachen, bei Willy Schmid einen Käse holen, der 52 Kilometer weit herkommt, oder meinen Freund Jan Geertsema mit seinen wilden Austern aus Holland einladen, weil ich dazu einen persönlichen Bezug habe. Mein Fokus liegt aber klar auf dem Umkreis von 50 Kilometern, innerhalb dessen ich mein Lieferantennetz aufbaue.

Sie werden auf einiges verzichten müssen.
Richtig, auf Olivenöl oder Zitronen zum Beispiel. Bei den Gewürzen bin ich unschlüssig; ich werde sicher kein Curry auffahren, aber Pfeffer ... Ich weiss nicht, ob ich darauf verzichten kann und möchte. Schwierig ists auch beim Wein: Die Karte wird zu 100 Prozent mit Naturweinen bestückt sein, und dafür reicht das Angebot aus der Schweiz schlicht nicht aus. Meinen nordischen Einfluss erkennt man sicher im Versuch, für gewisse Produkte einen Ersatz zu finden, aber wenns nicht geht, gehts nicht. Was ich nach Winterthur tragen möchte, ist vor allem die Idee des Redzepi in seinen Anfängen: die enge Zusammenarbeit mit den regionalen Produzenten. Ich möchte mit meinen Lieferanten zusammenwachsen.

Wie meinen Sie das?
Ich will effektiv eine Nachfrage schaffen und gemeinsam mit den Produzenten und Lieferanten auch Neues kreieren. Ich möchte die Schweiz aus ihrer Komfortzone führen – ohne jemanden zu bevormunden, sondern indem ich ein Angebot mache.

Zum Beispiel?
In Seuzach gibt es einen Gemüsebauern: Roger Flori. Er begann als Selbstversorger, macht aber so gutes Gemüse, dass er mittlerweile Restaurants beliefert. Ich stehe mit ihm in Kontakt, weil ich möchte, dass er für mich ein Feld mit meinem Saatgut bestellt. Mal schauen, was daraus wird – aber das wäre meine Vision: Anbieter, die eigens für mich produzieren.

Im «Fritz Lambada» wollen Sie Gemüse und Getreide ins Zentrum rücken. Womit beschäftigen Sie sich aktuell? 
Bärlauchkapern sind in Kopenhagen längst Standard, und ich möchte sie nun auch hier machen: Sie sind grossartig und regional! Ausserdem werde ich in meinem Restaurant eine Pasta kochen, wenn auch keine im italienischen Sinn, sondern eine aus Birkenrinde. Die hole ich im Wald, trockne sie, blitze sie zu Pulver und mische sie mit Hartweizengriess. Die Teigware schmeckt nach Wald – für mich eine Kindheitserinnerung.

Was Fleisch angeht, haben Sie in Skandinavien eine kritische Haltung entwickelt.
Ich bin ultravorsichtig geworden. Im «Bror» gilt die Noseto- Tail-Devise, die ich grundsätzlich befürworte. Tatsächlich passierte aber Folgendes: Wir kauften einfach Innereien ein. So sollte es nicht sein.

Sondern?
Na, eben von der Schnauze bis zum Schwanz: Man sollte alles verarbeiten. Nicht bloss die billigen Teile. Letzten Dezember verkauften wir im «Bror» etwas mehr als 700 Kilo Rindernacken – ich überschlug das: über 100 Kühe, von denen wir je ein Stück brauchten! Das beelendet mich.

Wie werden Sie es in Winterthur mit Fleisch halten?
Ich setze auf Kleintiere wie Poulet und Kaninchen, vielleicht mal ein Schwein, aber wohl eher nicht. Beim Fisch gibts Wildfang aus Schweizer Seen oder Zucht, je nachdem, da schaue ich mir noch die Produzenten an. Dann so viel Wild wie möglich – und effektiv nose to tail: Ich kaufe ganze Tiere ein und verarbeite sie. Mit allem.

Werden Sie die Leute überfordern?
Eher: fordern. Es wird viel Überzeugungsarbeit brauchen, die Leute an etwas heranzuführen, das sie nicht kennen. Aber die Zeit ist reif. Die Branche bewegt sich, in Zürich passiert viel. Junge Köche, Gastronomen, Unternehmer und Quereinsteiger wagen etwas, kommen aus der Komfortzone raus. Klar, ich bewege mich stark in einem vom Slow-Food-Gedanken geprägten Umfeld, aber ich glaube, dass das Bewusstsein generell wächst: dass sowohl wir Köche als auch wir Konsumenten eine Verantwortung tragen.

Stichwort Netzwerk: Wie wichtig ist das?
Substantiell. Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum «Noma», aber eins machte René garantiert richtig: Er erkannte, dass er ein Lokal, wie es ihm vorschwebt, nicht allein schaffen kann, dass er die Region, die Leute rundherum einbeziehen muss. So möchte ich das auch machen: Statt im CC Geschirr einzukaufen, gehe ich zum Töpfer in Winterthur – vielleicht hat er Freude und Interesse dran, mit mir einen neuen Teller zu schaffen und damit an der Eröffnung dabei zu sein.

Und wie siehts mit der Vernetzung unter den Köchen aus?
Die ist auch wichtig. Persönlich erlebe ich sie in der Schweiz aber nicht nur angenehm, ich habe den Eindruck, dass man manchmal Angst hat, einander etwas wegzunehmen. Aber vielleicht ist das bloss meine Wahrnehmung.

Erzählen Sie.
Mich dünkt, man behält seine Sachen lieber für sich, damit sie keiner klaut, anstatt Ideen proaktiv auszutauschen. Der Kontakt unter Köchen fusst weniger auf der Leidenschaft, gemeinsam kreativ zu sein, sondern ist ein Sondieren: Was macht die Konkurrenz? In Kopenhagen kochen die härtesten Rivalen zusammen, man inspiriert und hilft sich. Wenn uns im «Studio» die norwegischen Jakobsmuscheln ausgingen, rief Torsten im «Noma» an und konnte dort welche ausleihen – obwohl die Trennung zuvor nicht nur friedlich verlaufen war. Wir können die kulinarische Revolution in der Schweiz nur erreichen, wenn wir gemeinsam anpacken und nicht jeder für sich köchelt.

Sie ärgern sich, dass Kochen momentan so hip ist.
Das tue ich. Ich bin überzeugt, dass dazu mehr gehört als ein Bart, ein paar Tattoos und schönes Design. Es braucht den Gedanken dahinter, das Verständnis für den tieferen Zusammenhang – und ein Teilen des Netzwerks und der Ideen. Da haben wir in der Schweiz noch Potenzial, um es positiv auszudrücken.

Sie wollen ja nicht dogmatisch sein. Fällt Ihnen das schwer?
(lacht) Ich habe meine dogmatische Phase hinter mir. In meiner Zeit im «Rosso» entwickelte ich mich zum regelrechten Slow-Food-Nazi. Aber irgendwann merkte ich, dass das meinen Freunden und mir ein grosses Mass an Freude nimmt.

Erinnern Sie sich an ein konkretes Erlebnis, das Ihr Feuer für die nordische Küche entfachte?
Was mir unheimlich gefällt, ist das Zelebrieren des Gemüses. Dazu kommt mir eins der besten Gerichte, die wir im «Studio » hatten, in den Sinn: zwei weisse Zwiebeln, in der Mitte halbiert, gegart, grilliert, im Dillöl mariniert, ein paar Kräuter obendrauf. Dazu gabs ein Seeteufelmedaillon, supergut, aber eher die Beilage. Die Zwiebeln hauten mich um, die waren richtig geil!

Gemüse kochen sei schwer, sagen Sie.
Es ist vor allem schwierig, den Gast damit zu befriedigen – wobei das eine reine Kopfsache ist. Essen ist nicht nur vollwertig, wenn Fleisch oder Fisch dabei ist.

Gibt es in Ihrem Leben eigentlich noch etwas Anderes als Kochen?
Ich versuchte es immer mal wieder mit ein bisschen Sport, aber das ging stets schief. Was mich echt gepackt hat, ist mein Garten: Er erdet mich. Ich habe zwar keine Ahnung davon, jedoch auch keine Angst, etwas auszuprobieren. Ein erfahrener Gärtner würde vermutlich die Hände verwerfen – am Ende wird wohl trotzdem etwas wachsen. Und sonst? Nein. Kochen ist eine Sucht für mich: Wenn ich nicht kochen kann, gehe ich ein.

Simon Schneeberger (30) wuchs in Elgg auf und trat nach dem Gymnasium seine Kochlehre im «Adler» in Rorbas an. Nach einem Jahr brach er ab, jobbte in einer Bar, wechselte kurzzeitig ins Bankwesen und reiste schliesslich ein halbes Jahr nach Frankreich – mit dem Plan, sich nach der Rückkehr zum Sozialarbeiter ausbilden zu lassen. Weil er aber doch zum Schluss kam, lieber mit den Händen zu arbeiten, nahm er einen zweiten Anlauf und machte die Kochlehre im «Rössli» in Zollikon. Es folgten Stationen in der Winterthurer «Akazie», in der er viel über den bewussten Umgang mit Lebensmitteln lernte, und im «Rosso» in Zürich. Dort startete er als Souschef, übernahm aber bald die Leitung, nachdem der Küchenchef ausgefallen war. Schneeberger erlebte eine super Zeit, war in seiner Kreativität total frei, endete nach zwei Jahren aber ausgebrannt. Bei Patrick Marxer («Das Pure», Wetzikon) fand er in der Produktion und Ausrichtung kulinarischer Events eine neue Aufgabe. Ins Blaue hinaus verschickte er eine Bewerbung für eine Stage in René Redzepis «Noma» in Kopenhagen – und bekam eine Zusage. Über Crowdfunding finanzierte er sich ein halbes Jahr im Ausland, wollte erst drei Monate im «Aponiente » in Cadiz, dann drei Monate im «Noma» lernen. Es kam anders. In Spanien blieb er wegen sprachlichen Schwierigkeiten nur zwei Wochen, dafür verbrachte er den Rest der Zeit in den Niederlanden bei Jan Geertsema und half diesem, wilde Austern aus dem Wattenmeer zu fischen. Im «Noma» hielt er es drei Wochen aus, blieb in Kopenhagen aber hängen: Schneeberger arbeitete im «Studio» bei Torsten Vildgaard, einem früheren Mitarbeiter Redzepis, ebenso wie im «Bror», das zwei Ex- Souschefs des «Noma» betreiben. In die Schweiz zurück kam er im April, um im Sommer mit seinen Winterthurer Partnern Samuel Frey (Geschäftsführer «Albani) und Marco Nisoli (Betreiber «Don Camillo» und «La Cyma») im Roten Turm das «Fritz Lambada» zu eröffnen.

Das «Fritz Lambada» von Simon Schneeberger, Samuel Frey und Marco Nisoli soll im Sommer im Roten Turm, einem Wahrzeichen von Winterthur, eröffnen. Das Konzept sieht eine Kombination von Bar und Restaurant vor, wobei hierin die Herausforderung liegen dürfte. Der Betrieb läuft an vier Tagen die Woche ab 16 Uhr. Erst gibt es Apéro und Snacks, ab 17.30 Uhr dann ein erstes Seating von einer Stunde, ab 20.30 Uhr ein zweites. Das Restaurant verfügt über 35 Plätze. Eine Karte sucht man vergebens: Schneeberger gibt das Menü, das aus vier Snacks und fünf Gängen besteht, vor, wobei der Gast bei der Anzahl Gänge eine Auswahl treffen kann. Die Weinkarte ist ausschliesslich mit Naturweinen bestückt.

Fritz Lambada, Theaterstrasse 17, 8400 Winterthur, www.fritzlambada.ch



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