Bei den Köchen und Köchinnen, die das Glück haben, dass ihnen leidenschaftliche Hobby-Kräutersammler regelmässig die Beute ihrer Streifzüge abliefern, lösen diese Delikatessen wahre Kreativitätsschübe aus. «Es macht unglaublich Freude, unsere Salate und Gerichte mit solchen Raritäten zu veredeln», schwärmt zum Beispiel Markus Stöckle vom Rosi in Zürich. Und Werner Tobler, Cuisinier im Bacchus im luzernischen Hildisrieden, strahlt über das ganze Gesicht, wenn er seinen Gästen den Korb mit den gesammelten Labkrautspitzen, Spitzwegerichknospen, Borretschblüten und Gierschblättern präsentiert, mit denen er noch am selben Tag seine Speisen ergänzt.
Während auch wilder Thymian und wilder Oregano – in der Schweiz Quendel und Dost genannt – in den bäuerlichen Küchen regelmässig genutzt wurden, begannen die Profiköche erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, in die Töpfe, Gärten und Vorratskammern der Bäuerinnen zu schauen und sich von ihnen inspirieren zu lassen. In seinem Kochbuchklassiker «Guide culinaire», dem ersten grossen Standardwerk der Küche des 20. Jahrhunderts, verwendete der einflussreiche französische Koch Auguste Escoffier bereits zahlreiche Pflanzen und Kräuter, die zuvor in der gehobenen Gastronomie noch keinen Platz gehabt hatten. Zu finden sind bei ihm etwa Brennnessel-Rahm-Suppe oder Sauerampfersuppe mit Hafermehl, und selbst den damals kaum bekannten Sauerklee verarbeitete der begnadete Küchenmeister zusammen mit Béchamel zu einer schmackhaften Vorspeise.
Die Zeit der Wildpflanzen in der Gastronomie dauerte allerdings nur wenige Jahrzehnte – selbst auf dem Land, wo man während der beiden Weltkriege in der Not noch so ziemlich alles Essbare an Wildgewächsen gesammelt hatte. Tiefkühlspinat und Dosenerbsen lösten traditionelle Wildgemüse vollständig ab und liessen sie in Vergessenheit geraten. Erst in den Achtzigerjahren begannen vereinzelte Profiköchinnen und -köche, wieder mit Wildpflanzen zu experimentieren und diese in ihr Repertoire aufzunehmen. Und mit der aufstrebenden Terroirküche hat die einstige Notnahrung inzwischen einen deutlich höheren Stellenwert erreicht: Wurden die Vorreiter der Wildpflanzenküche von der Spitzengastronomie lange Zeit noch etwas belächelt, übertreffen sich die Köche und Köchinnen heute auf den kunstvoll dekorierten Tellern der Sterne-Gastronomie mit Salaten aus jungen Lindenblättern, Lasagne aus verschiedenen Nesselarten oder mit Waldmeister und Süssdolde gewürzten Parfaits.