An der Grenze und darüber hinaus

Man nennt ihn den «Mozart der Küche» und hält ihn für die grosse Nachwuchshoffnung Österreichs: Harald Irka kocht mit 26 auf 18 Punkten – und das quasi am Ende der Welt. Wir haben ihn dort besucht.
Text: Sarah Kohler – Fotos: Marion Luttenberg / z. V. g.
Veröffentlicht: 08.05.2018 | Aus: Salz & Pfeffer 3/2018
Blutzwetschke, Molke, Pfeffer, Estragon

«Die Nähe zu den Produzenten hat man kaum irgendwo sonst so greifbar wie hier.»
Wer ins Restaurant Saziani Stub’n reist, fährt von Graz her bald über den einen oder anderen Hügel und dann über noch einen, immer tiefer hinein ins südoststeirische Vulkanland, vorbei an schmucken Dörfern mit Kirchen und Kapellen und freiwilligen Feuerwehren. Das Ziel schliesslich liegt ziemlich ab vom Schuss, 13 Kilometer von der slowenischen und 25 von der ungarischen Grenze entfernt: Straden, rund 3600 Einwohner, vier Kirchen mit total drei Türmen, eine freiwillige Feuerwehr.

Das Saziani Stub’n indes findet der geneigte Besucher am Dorfausgang, am Fusse des namensgebenden Saziani-Hügels, an dem in Reih und Glied Rebstöcke stehen. Insgesamt bewirtschaftet die Familie Neumeister in der Umgebung 30 Hektaren, verteilt auf kleine und kleinste Weingärten in Steillagen, mit unterschiedlichen Mikroklimas und Böden. Hauptsächlich gedeiht darauf Sauvignon blanc, das Aushängeschild der Region. Der Weinbau in der Südoststeiermark ist anspruchsvoll, hat aber eine lange Tradition.

Industrie gibts in der Gegend praktisch keine, das Leben ist nach wie vor stark landwirtschaftlich geprägt, und bis vor 30 Jahren bremste der Eiserne Vorhang hier entscheidende Entwicklungen aus. «Wir hinken heute noch etwas hinterher», sagt Christoph Neumeister, der das Weingut mit Bruder Matthias führt, während die Eltern Anna und Albert sich ums Restaurant und ums Boutiquehotel kümmern. «Aber es tut sich was. Die Jungen ziehen zwar immer noch in die Stadt, es kommt aber zunehmend ein Bewusstsein dafür auf, dass man auch in der Landwirtschaft auf einen grünen Zweig kommen kann.» Wein aus der Südoststeiermark mag in der Welt eine Nebenrolle spielen, für die Region selbst ist er eine tragende Säule.

Bestes Beispiel dafür ist die Familie Neumeister, die in Straden fest verwurzelt ist. Sie macht sich für die Berufskollegen der Region stark und fördert (nicht nur eigene) Nachwuchstalente. Christoph Neumeister amtet als Obmann des Winzervereins Vulkanland Steiermark: Man zieht an einem Strang, lässt Experten aus aller Welt einfliegen, um Wissen und Know-how auszubauen und das Handwerk zu festigen. «Wenn mir schon die Zeit für die freiwillige Feuerwehr fehlt», sagt der Weinbauer, «engagiere ich mich immerhin so für die Region.»

Der Einsatz für die Südoststeiermark ist auf dem Weingut Neumeister seit Generationen verankert und zieht sich als sinnstiftende Philosophie durch – bis in die Küche des Saziani Stub’n. Sie ist das Reich von Harald Irka; 26 Jahre jung, schmächtig, eher von der stillen Sorte, aber mit klaren Vorstellungen im Kopf und unsagbar viel Talent gesegnet. Nicht umsonst nennt man den jungen Mann in Österreich auch den «Mozart der Küche»: Irka gilt als die nationale Nachwuchshoffnung schlechthin und wurde von Gault & Millau bereits mit 18 Punkten und drei Hauben bedacht, während er Michelin durch die Lappen geht, weil dieser in Österreich nichts wertet, was ausserhalb von Wien oder Salzburg liegt.

Dass der gebürtige Linzer Irka nicht da landete, sondern eben in Straden strandete, ist Zufall. «Vielleicht wäre ich gar nicht hergekommen, wenn ich gewusst hätte, worauf ich mich da einlasse», sagt er und lacht. Aber die Neumeisters reagierten nun mal als Erste auf seine Bewerbung, die er nach Abschluss der Hotelfachschule 2009 verschickte. Seit Frühjahr 2010 lebt Irka darum quasi am Ende der Welt; in einer Gegend, die er mit den Jahren lieben lernte. «Mittlerweile», sagt er, «schätze ich die Ruhe sehr. Und kochtechnisch mag ich die Nähe zu den Produzenten; die hat man kaum irgendwo sonst so greifbar wie hier.»

Wie die Neumeisters setzt sich auch Irka nicht nur in der Theorie für die Region ein. Mit fünf renommierten Kollegen gründete er die Köchevereinigung 47°. Deren erklärtes Ziel ist es, «der Steiermark etwas zurückzugeben» – und zwar gemeinsam. Die Köche betreiben Standortmarketing, wollen den Ruf der Heimat mit ihrer Arbeit auch im Ausland stärken. «Dafür spannen wir zusammen, empfehlen und helfen uns gegenseitig, tauschen uns aus», sagt Irka. «Und wir fördern die Produzenten, um die Qualität zu bekommen, die wir uns wünschen.» So koordinieren die 47°-Köche zum Beispiel ihre Abnahmemengen – oder geben den Herstellern im Rahmen von Events eine Bühne.

Sechs Köche, eine Vision (von links): Tom Riederer, Luis Thaller, Harald Irka, Manuel Liepert, Norbert Thaller und Gerhard Fuchs bilden die Vereinigung 47° und widmen sich dem Wesen der «Rare Styrian Cuisine».
Das Huhn, sein Futter und sein Ei: Harald Irkas Signature Dish mit Getreide, pochiertem Ei und flüssiger «knuspriger» Hühnerhaut

Wie bei unserem Besuch im Saziani Stub’n. Zu Gast in Harald Irkas Küche ist an diesem Abend 47°-Kollege Gerhard Fuchs, der selbst vier Jahre lang für die Familie Neumeister arbeitete und heute in Ehrenhausen das Wirtshaus Die Weinbank führt. Vor Ort sind zudem Produzenten, deren Erzeugnisse im sechsgängigen Dinner eine Rolle spielen.

Da ist etwa Josef Zotter, der steirische «Schokoladenimperator», dessen Produkte man auch in der Schweiz kennt. Oder Norbert Hackl, der mit der Bergschecke die älteste Rinderrasse des Landes heranzieht. Am Gastkochabend bringt Gerhard Fuchs diese auf den Teller: als Marknockerln und gebeizte Schulter in der Frühlingskräutergazpacho mit Buttermilch und Salzzitrone. Und später als Zweierlei mit Stöcklkraut und Kräuterdampfnudeln.

Irka komplettiert die Arbeit des klassischer ausgerichteten Kollegen mit Gerichten, die für Kontrast und Harmonie zugleich sorgen. Dabei zeigt der jüngste Drei-Hauben-Koch der Welt deutlich, worin sein Talent liegt: Irka ist ein Perfektionist, der mutig auf Reduktion und pure Geschmäcker setzt und über einen unbeirrbaren Instinkt verfügt, wenns darum geht, auch scheinbar verquere Kombinationen in Einklang zu bringen. Bei aller Komplexität wirken seine Gerichte leichtfüssig, frisch und frech.

Bei unserem Besuch vermählt der junge Koch Goldrüben mit Dickmilch (geronnener saurer Milch) und Röhrlsalat (Löwenzahn). Letzterer wird in der Gegend traditionell aufgetischt und sorgt mit ausgeprägten Bitternoten für ordentlich Spannung am Gaumen. Überraschend ist auch: Ingwer, Physalis und Erdnuss, die Irka in der Kreation unterbringt, stammen alle aus der Steiermark.

Das ist für den jungen Koch, der sich selbst keinen fix definierten Stil attestiert, allerdings kein zwingendes Kriterium. «Mein Schwerpunkt liegt auf österreichischen Produkten», sagt Irka. «Aber ich setze die Grenzen nicht so eng wie auch schon.» Im Saziani Stub’n kommen auch mal ein Wolfsbarsch oder Muscheln aus dem Mittelmeer (notabene bloss drei Autostunden entfernt) auf den Teller, Gewürze aus aller Welt oder Zitrusfrüchte.

«Für mich sind es Einflüsse aus der ganzen Welt, die die österreichische Küche prägen, aus den Nachbarstaaten, aus den ehemaligen Kronländern», erklärt Irka. «Ich nehme drum auch mal Gewürze aus dem arabischen Raum, die eh bei uns wachsen, aber einen exotischen Geschmack mitbringen. So entstehen österreichische Gerichte, die tief bei uns in der Region verwurzelt und dennoch weltoffen sind.»

Irkas Haltung passt zur Vision der Neumeisters, die – weitab vom Schuss – beharrlich den Weg in die weite Welt hinaus verfolgen. Immerhin erreichten sie mit der Entscheidung, das Weingut mit Gourmetlokal und Gästeappartements zu ergänzen, dass die Welt heute nach Straden reist: Am Fusse des Saziani-Hügels findet eine gut betuchte Klientel aus Wien und Salzburg, immer öfter aber auch aus der Schweiz und aus Deutschland, eine bekömmliche Mischung aus Ruhe und Frieden, gutem Essen und gutem Wein.

Auf deren Zusammenspiel liegt im Saziani Stub’n selbstredend ein Fokus – den Irka allerdings erst entwickeln musste. «Als ich hier ankam, trank ich eigentlich nur Bier.» Also kostete sich der Küchenchef in den letzten Jahren fleissig durchs Angebot: nicht nur aus dem eigenen Haus, sondern aus der ganzen Region – und über deren Grenzen hinaus. «Ich muss ja bei der Weinbegleitung mitreden», sagt Irka dazu, «schliesslich kennt keiner meine Gerichte so gut wie ich selbst.»

Zu Besuch in Straden
Straden liegt im Dreiländereck Österreich-Ungarn-Slowenien. Von der Schweiz aus erreicht man das schmucke Dorf im Vulkanland Steiermark mit dem Auto theoretisch in einer Tagesreise, praktisch dürfte es allerdings weitaus entspannter sein, die Fahrt auf zwei Tage zu verteilen. Deutlich schneller am Ziel ist, wer von Zürich nach Graz fliegt (die Reisezeit beträgt etwas mehr als eine Stunde). Von der steirischen Landeshauptstadt aus ist Straden dann noch eine weitere Autostunde entfernt.

Zum Weingut Neumeister gehört das mit 18 Gault-Millau-Punkten und drei Hauben dotierte Gourmetlokal Saziani Stub’n. Es ist von März bis Dezember geöffnet (von Dienstag bis Samstag jeweils abends, am Samstag zusätzlich über Mittag). Besonders bequem: Zum Weingut Neumeister gehört auch das Boutiquehotel Schlafgut mit sieben grosszügigen Appartements, Pool und Sauna. Der Blick aufs Dorf und ins Land hinein sowie das servierte Frühstück sind im Übernachtungspreis inbegriffen – und (ohne übertreiben zu wollen) eine Wucht.

Restaurant Saziani Stub’n
– Weingut Neumeister
Sazianiweg 42 , 8345 Straden, Österreich
+43 (0)3473 8308
www.neumeister.cc

Zu Besuch in Zürich
Wenn sich am 27. und 28. Mai die Schweizer Gastrobranche zur Chef Alps in Zürich-Oerlikon versammelt, ist heuer auch Harald Irka vom Saziani Stub’n dabei. Das Talent aus der Steiermark steht am Montag des Branchengipfels als Gastkoch auf der Bühne. Sein Auftritt startet um 13.30 Uhr.
www.chef-alps.com



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