Aus der Asche

Vor zweieinhalb Jahren brennt die Kerzenfabrik Lienert in Einsiedeln komplett aus. Noch ehe das Feuer gelöscht ist, beschliessen Otmar und Brigitte Lienert den Wiederaufbau.
Text und Fotos: Delia Bachmann
Veröffentlicht: 10.12.2018

«Wir standen daneben und mussten tatenlos zuschauen, wie das Gebäude in Flammen aufgeht.»

Eine Maschine so gross wie ein Kleinlastwagen presst Paraffingranulat zu runden Opferkerzlein, lässt sie über Schienen und Zahnräder laufen und spuckt sie schliesslich im Sekundentakt in eine graue Plastikkiste. Bleibt eins davon stecken, gibt ihm die mit Ohrschützern ausgestattete Mitarbeiterin einen kleinen Schubs. In zwei Wochen ist Weihnachten und das Team hat alle Hände voll zu tun. Trotzdem nimmt sich Otmar Lienert Zeit für einen Rundgang durch den Betrieb, dessen Existenz an und für sich schon an ein Wunder grenzt.

Die Mitarbeiter sitzen gerade beim Mittagessen, als am 23. Mai 2016 eine defekte Steckdose ein Feuer entfacht. Einer der Wachszieher entdeckt es auf dem Weg zur Garderobe und schlägt Alarm. Doch da züngeln die Flammen bereits aus den Fenstern. Kurz darauf rückt die Feuerwehr mit 100 Mann an. In der Fabrik ist es so heiss, dass sich das Kerzenwachs selbst entzündet. Wie Frittieröl darf auch brennendes Wachs nicht mit Wasser gelöscht werden. Das Resultat wäre eine Fettexplosion. Fünf Stunden kämpft die Feuerwehr mit Löschschaum gegen die Flammen: «Wir standen daneben und mussten tatenlos zuschauen, wie das Gebäude in Flammen aufgeht», erinnert sich Otmar Lienert an den schwärzesten Montag in der 200-jährigen Geschichte der Kerzenfabrik.  

Zwei Stunden bevor sich der Rauch gegen 18 Uhr endlich weiss färbt, entschliessen sich Brigitte und Otmar Lienert fürs Weitermachen und informieren die Mitarbeiter darüber, die draussen im Regen stehen. Was das genau bedeutet, wissen sie da noch nicht. An ihrem Entscheid halten sie auch am nächsten Morgen fest, als sie das, was von der Fabrik übrig ist, zum ersten Mal betreten dürfen. Was nicht verbrannt ist, stinkt nach Rauch und ist mit Russ bedeckt. Das Wachs hat sich kniehoch über den Boden verteilt. Nur der Bürotrakt und damit auch die Kundendaten sowie an die 100 Ausstecher in Form von Kreuzen, Madonnen und Co. haben das Feuer mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Sie sind auch heute im Einsatz: Eine Mitarbeiterin sticht damit eine Taube aus Wachsfolie aus und appliziert sie zusammen mit feinen Streifen vorsichtig auf eine Taufkerze. Und zwar so präzise, dass man sie von der Musterkerze auf dem Tisch nicht mehr unterscheiden kann.

Brigitte und Otmar Lienert in ihrer wiederaufgebauten Kerzenfabrik
Rechts im Bild: Eines der Zugräder, das Baumwolldochte durchs Wachsbad zieht
Haben das Feuer überstanden: Ausstecher in allen Formen und Grössen.
Ein Geschenk zur Wiedereröffnung vom Autohaus Füchslin, in das die Kerzenproduktion vorübergehend eingezogen ist
In der Tunkerei werden die Kerzen von Hand eingefärbt
Aus Wachsfolie lassen sich damit hauchdünne Verzierungen ausstechen.

Auch die Fabrik, die ein gutes Jahr nach dem Brand wiedereröffnet, sieht fast genauso aus, wie die alte: Die Wände stehen auf den Grundmauern, die neuen Maschinen haben lediglich ein jüngeres Baujahr. Eine davon zieht gerade meterlange Baumwolldochte, aufgespannt wie Gitarrensaiten, durch ein Wachsbad. In den Paraffinduft mischt sich hin und wieder eine Bienenwachsnote. An den Brand erinnert in der hell ausgeleuchteten Fabrikhalle, in der sich Wachsplatten, Rohlinge und Kerzen bis unter die Decke stapeln, nichts mehr. Lediglich die Fassade erstrahlt heute in hellem Blau statt in angegrautem Braun. 

Die minimalen Änderungen kommen nicht von ungefähr: Trends spielen in der Kerzenwelt eine eher kleine Rolle. Wichtiger ist, dass die Füsse der Spitzkerzen den richtigen Durchmesser für die Leuchter der Restaurants haben oder dass die Floristen aus 60 verschiedenen Farben wählen können. Selbst einfache Baumkerzen werden hier von Hand eingefärbt: Eine der Mitarbeiterinnen hält ein  Bündel davon in der linken Hand und tunkt mit der rechten eine nach der anderen in den mit petrolgrünem Wachs gefüllten Schmelztopf. Danach gehts ins kalte Wasserbad, in das die Kerzen kurz eintauchen, um gleich darauf wieder aufzusteigen.

Die Lienerts sind froh, dass ihnen die meisten Kunden, zu denen neben Kirchen und Klöstern vor allem Gastronomen, Hoteliers und Floristen zählen, nach dem Brand treu bleiben. Vor allem am Anfang müssen sie viel improvisieren, der Weg zurück ist kein einfacher:«Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten», sagt Otmar Lienert, der den Betrieb seit 1995 in vierter Generation führt: «Manche Mitbewerber erzählten schon herum, dass wir dichtmachen.»

Also verlieren sie keine Zeit: Am Tag nach dem Brand trägt das Team den ersten Schutt raus, die Lienerts informieren die Kunden über das Weitermachen und finden in den Räumen des Autohauses Füchslin eine neue Bleibe. Fürs Erste müssen sie sich auf manuelle Aufgaben wie das Giessen, Tunken und Verzieren beschränken. Die dafür notwendigen Rohlinge beziehen sie von befreundeten Unternehmen. Statt Mitarbeiter zu entlassen, wie es ihnen die Versicherung rät, stellen sie zusätzliche Leute ein. Heute zählt der Betrieb 30 Mitarbeiter – mehr als vor dem Brand.

Zur Lienert-Kerzen AG 
Ein schöne Kerze, gutes Essen und die richtige Begleitung – mehr braucht es nicht, um ein gewöhnliches Abendessen in ein romantisches Candle-Light-Dinner zu verwandeln. So gehören Gastronomen und Hoteliers neben Klerikern und Floristen seit Jahren zu den wichtigsten Kunden von Otmar Lienert, der die Lienert-Kerzen AG seit 1995 in vierter Generation führt. Der Grundstein für die heutige Kerzenfabrik in Einsiedeln wurde aber schon viel früher, nämlich 1828, gelegt. Seit 1907 befindet sich der Betrieb im Besitz der Familie Lienert. Mit ihrem beherzten Vorgehen nach dem verheerenden Brand vom 23. Mai 2016 haben Otmar und Brigitte Lienert dafür gesorgt, dass sich daran so schnell nichts ändert. 
www.lienert-kerzen.ch



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