Der Mann fürs Grosse

Legenden gehen nicht in Rente. Ueli Steinle, vor 50 Jahren als Gründer des Clubs Ugly in Richterswil erstmals aufgefallen, ist bis heute aktiv und hat 2021 viel vor.
Text: HG Hildebrandt – Fotos: Jürg Waldmeier
Veröffentlicht: 23.02.2021 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2021

«Ueli Steinle ist der Andy Warhol der Gastronomie.»

Am Fuss des Uetlibergs, mit Blick auf die Stadt Zürich und den See, wurde in den Siebzigerjahren eine Reihe von Tennisplätzen gebaut. Winters sind die Plätze und die dazugehörigen Cafés verwaist – mit einer Ausnahme: Im TC Uetliberg können sich Spaziergänger und Jogger mit Ingwertee und kleinen Leckereien verpflegen (aktuelle Corona-Lage natürlich vorbehalten). Bedient werden die Passanten von Ueli Steinle, bekannt als Glamour-Unternehmer, Wegbereiter der Schweizer Eventbranche, Person mit Legendenstatus. Wie schrieb Daniel E. Eggli, Gründer von Salz & Pfeffer, in einer Titelgeschichte 1990? «Ueli Steinle ist der Andy Warhol der Gastronomie.»

Ueli Steinle, selbst zeitlebens begeisterter Tennisspieler, entstammt einer Gastro-Familie im Zürcher Stadtteil Wiedikon. Seine Grosseltern führten das Schlössli, das Ende der Fünfzigerjahre einer Kantonsschule weichen musste. Steinle absolvierte in Hottingen die «Handeli», jobbte und ging ins Militär, in dem er zum Fourier avancierte. Bei unserem Treffen im Emilio an der Zweierstrasse in Zürich erzählt er bei Poulet & Pommes: «Weil ein Quartiermeister seinerzeit oft abwesend war, musste ich mich rasch um ein ganzes Bataillon kümmern und lernte schnell, wie man die Verpflegung vieler Menschen effizient organisiert.»

Steinle war zutiefst fasziniert von Musik und vom Nachtleben. Aber die Zwinglistadt von damals fühlte sich an wie ein strenger Lockdown heutzutage. Für seine Vision eines Musikclubs nach Londoner Vorbild waren erste Domizile an der Badenerstrasse oder an der Schulhausstrasse im Enge-Quartier deshalb ungeeignet und mussten wegen Streit mit den Nachbarn geschlossen werden. «Schliesslich fand ich eine alte Fabrikantenvilla in Richterswil und baute sie nach und nach zum Club um», schildert Steinle seine erste grosse Unternehmung – da war er 25 Jahre alt.

Der Club sollte Ugly heissen. Und er wurde zu einem absoluten Anziehungspunkt für die Schönen und Reichen, für die Passionierten und die Abstürzer jener Jahre. Entsprechend liest sich das Gästebuch des Ugly wie ein Verzeichnis der Musikstars der Epoche – unglaublich, wer nach Konzerten in Zürich jeweils den Weg dorthin fand, wo es verbotene Substanzen, feierfrohes Jungvolk und laute Musik à discrétion gab. «Ich ging einmal sogar wegen eines Haschisch-Vergehens an der Stelle von Pink Floyd vier Tage in Untersuchungshaft», erinnert sich Steinle an eine von zahllosen Episoden. Routinemässig hatte er mit Superstars wie Debbie Harry (Blondie), Freddie Mercury, Carlos Santana oder David Bowie zu tun und verkörpert damit eine Epoche, als die Abkürzung VIP noch eine Bedeutung hatte und Rock ’n’ Roll ebenso sexy wie schmutzig war.

Steinle machte sich einen Namen als fabelhafter Gastgeber. «Stunden nach Mitternacht briet ich auf dem Holzofen der Ugly-Villa 40, 50 Schweinskoteletts und ging mit grossen Platten im Haus herum. Das sorgte jeweils dafür, dass die Partys noch mal bis in die Morgenstunden eskalierten.» Die grosse Stahlplatte, auf der Steinle die Koteletts briet, wurde übrigens im Rahmen der Renovation der einstigen Ugly-Villa kürzlich restauriert. Das Essen war auch Grund dafür, dass Steinle überhaupt ein Restaurant eröffnete. Er übernahm den ehemaligen Wiedikerhof unweit seines Elternhauses und organisierte aus dessen Küche heraus immer professionellere Caterings für die Ugly-Partys.

Auch Horst Petermann und seine Frau Iris vom vielfach ausgezeichneten Restaurant Kunststuben in Küsnacht verkehrten im Ugly und wurden Freunde. Petermann, heute 77, erinnert sich: «Das Ugly war eine Institution damals! Es war toll, sich dort abseits vom harten Alltag im Restaurant mit jungen Leuten und den Stars der Musikszene vergnügen zu dürfen.» Steinle sei ein Mann der verrücktesten Ideen. «Iris beauftragte ihn mit der Organisation meiner Geburtstagsparty zum 45. Wir feierten auf einem Schiff mit drei Bands und kiloweise Kaviar – mir wars fast zu viel!» Auch der ganz junge Rico Zandonella, heutiger Kunststuben-Eigner, war damals schon dabei.

Beeinflusst von Erlebnissen in den Kunststuben, machte Ueli Steinle aus der Produktionsküche in Wiedikon das Edelrestaurant Nouvelle, schwarz und erotisch, elegant und sauteuer. Rasch hatte das Lokal 17 Punkte im Gault & Millau und einen guten Ruf im ganzen Land zu verteidigen. Dies klappte dank Steinles Flair fürs leichthändige Gastgebersein und dank dem früheren Kronenhalle-Souschef Peter Schärer, der an Leidenschaft fürs Feine seinem Boss in nichts nachstand (und dank Zeiten, als erfolgreiche und gut betuchte Männer noch stundenlang zu Mittag assen und reichlich becherten). Das Nouvelle versammelte zahlungskräftige Stammkundschaft aus den besten Kreisen der Stadt und den teuersten Wohnorten der Umgebung. Die Chefs der um die Ecke domizilierten Verlagshäuser – Beat Curti, Jürg Marquard – liebten den Glamour und sorgten für Publizität.

Kurz: Steinle definierte für das einst verknorzte Zürich eine neue, tänzerisch-verspielte Art der Gastfreundschaft mit Häppchen, hübschem Personal und Champagner ohne Ende. Gegengewicht bildete Steinles geschäftliche wie persönliche Freundschaft mit H. R. Giger, dem Erfinder des Alien. Steinle war Gigers Manager und Betreuer, wenn der Künstler wieder ein Tränental zu durchschreiten hatte. Der oscargekrönte Visionär realisierte im Ugly wie im Nouvelle eigene Räume mit speziell designten Möbeln: Erlebnisgastronomie der düsteren Art, ebenfalls unzürcherisch und gerade deshalb erfolgreich – wenn auch nicht immer rentabel.

Im Leben des Ueli Steinle gab es nicht nur tolle Zeiten. Während das Nouvelle daran war, seinen Ruf als innovativstes Haus am Platz einzubüssen, widmete der Gastronom und Veranstalter sich visionären Events auf dem Sechseläutenplatz mitten in Zürich – manche werden sich erinnern, wie die Veranstaltung Magic Japan, ein Follow-up zu Magic America, während eines total verregneten Sommers kaum Leute anzog. Steinle schrieb herbe Verluste, parallel endete die Beziehung zu H. R. Giger, der in seiner Oerliker Düster-Idylle versank. Steinle zog ans andere Ende der Stadt, ins damals noch industriell geprägte Schlieren, wo die Waggonfabrik eine riesige Halle hinterlassen hatte.

Die Wagi wurde zum Schauplatz eines neuen Lebensabschnitts. Lange bevor die Eventkultur zu einer Industrie wurde, empfing Steinle in der Magic Factory getauften Halle Prominenz und reiche Auftraggeber zum Feiern. Später fanden in der Wagi die ersten Technopartys statt. Schliesslich mutierte das Lokal zum Balkanclub und brannte Anfang der Neunzigerjahre ab.

Die Erinnerungen an diese fantastischen Feste und den Verlust von viel Geld stimmen Steinle zu keiner Sekunde nostalgisch. Es folgten viele weitere Jahre mit tollen Anlässen, aber auch risikoreichen Unternehmungen, die sich nicht immer auszahlten. Egal: Steinle hat schon wie-der – wie immer – Grosses vor, obwohl derzeit eine Planung kaum möglich scheint. Vor drei Jahren machte er mit dem Verein Ugly und einem Konzert auf sich aufmerksam, das sich Kenner um die 400 Franken pro Ticket kosten liessen – es spielte Katie Melua für ein Minipublikum, das sich maximal begeistern liess. Anlässlich des Jubiläums 50 Jahre Ugly zeigt nun das Richterswiler Ortsmuseum Erinnerungsstücke und Bilder aus den aufregenden Jahren des Privatclubs am Zürichsee.

Und logischerweise ist Steinle bereits daran, eine grosse Party auf dem Gelände am Richterswiler Horn zu planen – die Gemeinde habe ihren Segen dazu gegeben, und die Acts seien bereits gebucht. Er hat eine Ugly-Band zusammengestellt, zu der Musiker aus dem von ihm beratenen Unternehmen Stars in Concert ebenso gehören wie sein langjähriger Weggefährte Larry Woodley, ein begabter Jazz- / Funkmusiker und Showman. Ebenfalls auftreten wird Steinles begabte Tochter May (21), die Sport studiert, 2020 in Charles Roulets neu eröffnetem Baur au Lac Club als Barpianistin debütierte und derzeit ihr erstes Album aufnimmt. Mays Mutter ist Colette Murer, die in den Neunzigern mit der Tanztruppe Magic Dancers die Technopartyszene aufmischte.

Man ist geneigt, anzunehmen, dass ein einstiger Andy Warhol der Gastronomie mit dem Älterwerden oder der Tätigkeit als Wirt eines Tennisclubhauses Mühe hätte, aber Steinle ist nach wie vor in der Lage, aus reiner Begeisterung motivierende Funken sprühen zu lassen. Treue Eventkunden und das Engagement im TC Uetliberg helfen ihm durch die Pandemie, und überhaupt: Das Licht am Ende des Tunnels ist für einen wie ihn immer nur ein paar Meter entfernt. Werden wir diesen Sommer in Richterswil feiern? Für Steinle keine Frage – und wenn nicht, dann nächstes Jahr.

Aufregende Erinnerungsstücke
Von 20. August bis 19. September zeigt das Ortsmuseum Bären in Richterswil Erinnerungsstücke und Bilder aus den aufregenden Jahren des Privatclubs Ugly. Dazu plant Ueli Steinle am 20. und 21. August am Richterswiler Horn Konzerte mit der Ugly Revival Band und Stars in Concert (Beatles, ABBA, Blues Brothers).



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