Der Zukunft auf der Spur VIII

Bereits zum achten Mal suchten wir in den Schweizer Küchen nach bemerkenswerten Talenten. Gefunden haben wir sechs Köche, die für Nachhaltigkeit im Leben und auf dem Teller einstehen.
Text: Martin Jenni – Fotos: Tina Sturzenegger
Veröffentlicht: 04.09.2017 | Aus: Salz & Pfeffer 5/2017
Sandro Sgier
Saltimbocca von der lokalen Wildbachforelle mit Kartoffelschaum von Sandro Sgier, Hotel Postigliun

«Mein Ziel ist es, ein berühmter Koch zu werden. Daran arbeite ich»
Kein Tag, an dem nicht ein neues, hippes Lokal aufgeht, an dem nicht junge Köche (Gamper, Zürich; Moment, Bern) den Schritt in die Selbst­ständigkeit wagen und ihre Ideen erfolgreich umsetzen. Hofläden (Kulinarische Werkstatt, Metzerlen) spriessen aus dem Boden, der Tante-Emma-Laden (Kauf Lokal, Basel) kehrt ins Quartier zurück, neue Metzgereien (Metzg, Zürich) und Bäckereien (John Baker, Zürich) gehen auf. Es bereitet Freude, diese Veränderungen mitverfolgen zu dürfen. Auch in der Gastronomie findet ein Umdenken statt. Die Köche von heute machen nicht mehr ihre Lehrlinge platt, sondern klopfen nur noch das Fleisch. Sie verlangen viel – und geben viel. Sie wecken bei jungen, talentierten Menschen die Freude am Kochen und sensibilisieren sie dafür, nachhaltig zu denken und zu handeln.

Salz & Pfeffer stellt sechs Talente vor, die ihren Weg gehen und als Einzelkämpfer oder im Team eine überlegte und überzeugende Küche zelebrieren. Es sind Sandro Sgier vom Hotel Postigliun im bündnerischen Andiast, Stefan Tabanyi von der Brasserie Hugo in Basel, Steven Moy vom Gheimtipp im bernischen Leuzigen, Imanol Alves Merayo von der Auberge de la Croix Blanche im fribourgischen Villa­repos sowie Benoît Waber und Léonard Gamba vom Ben & Léo – Café de la Fonderie in Fribourg. Namen, von denen wir in Zukunft sicher mehr lesen werden.

Definitiv angekommen: Sandro Sgier
Sandro Sgier ist in den Bergen aufgewachsen, hat in Obersaxen Koch gelernt, hat drei verschiedene Küchenchefs erlebt und ist als Souschef mit Wissen und Können in den elterlichen Betrieb zurückgekehrt. Hier zelebriert er mit seinem Vater Guido Sgier eine innovative und zeitlose Küche, die ohne gesuchte Modetrends auskommt und von Mutter Claudia mit Charme, Kompetenz und Herzlichkeit präsentiert wird. «Ich bewundere meine Eltern für ihre kontinuierliche und zielorientierte Arbeit», sagt Sandro Sgier. Wenn er von seinen Eltern schwärmt, dann hat das nichts mit Betriebsblindheit, sondern mit dem Wissen zu tun, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in einem kleinen Dorf erfolgreich zu sein und es auf lange Sicht zu bleiben.

Vater und Sohn haben sich innert kürzester Zeit zu einem eingespielten Gespann entwickelt, das sich austauscht und neue Gerichte austüftelt. Die Küche im Hotel Postigliun ist ein aromatischer Cocktail aus Leidenschaft und Bodenhaftung. Das sind keine leeren Worthülsen, sondern schmackhafte Tatsachen. Wenn die Region zum Halali bläst und ihre Jäger einen Teil der Jagdbeute an die Familie Sgier verkaufen, reisen die Unterländer in Scharen an. Wer diesen Wildgenuss erleben will, muss sich frühzeitig anmelden, sonst wirds nichts mit Wild von hier. «Ich bin in Andiast definitiv angekommen, und Guido und ich profitieren voneinander», sagt Junior Sgier und stellt dabei sein Gericht, ein Saltimbocca von der lokalen Wildbachforelle mit Kartoffelschaum, vor.

Das Alter   27
Die Stellung Souschef
Das Hotel  Klein, aber fein, mit besten Aussichten auf Land und Teller
Das Gericht Saltimbocca von der lokalen Wildbachforelle mit Kartoffelschaum
Kochen ist Leidenschaft und Herausforderung
In der Freizeit Familie, Golfen, Wandern und Snowboarden
Die Zukunftspläne In Andiast – und nie stehen bleiben
Die Lebensphilosophie Weniger ist mehr

 

Arbeitet selbstbewusst: Stefan Tabanyi
Stefan Tabanyi ist in der Slowakei aufgewachsen und hat Koch gelernt. Praxisbezogen, klassisch, mit Ausbildnern, die festgefahren und emotionslos ihrer Aufgabe nachgehen. Für ihn war von Anfang an klar, dass er nur mit viel Eigeninitiative im Leben weiterkommen würde. So hat er am Tag seine Lehrpflichten getan und abends in einem Restaurant als Jungkoch die Kür in Angriff genommen. Nach seinem erfolgreichen Abschluss war der Westen, war Ibiza Traum und Ziel. Durch seinen Ehrgeiz wurde er im Beach Club White Küchenchef, kochte im Spagat zwischen Innovation und Tradition spannende Gerichte, die selbst den Programmchef des Insel-TV-Senders beeindruckten, sodass es nicht lange dauerte, bis Stefan Tabanyi im Fernsehen auf- und wieder abtrat. Das ist aber nicht der Grund, warum Jamie Oliver sein Vorbild ist, sondern weil dieser trotz seines Ruhms bescheiden geblieben ist und eine freche und spannende Küche zelebriert. Auch hat es Tabanyi beeindruckt, dass Jamie Oliver die englische Behörde dazu bewegen konnte, in den Kantinen der öffentlichen Schulen frischer, kalorienarmer und gesünder zu kochen.

«Mein Ziel ist es, ein berühmter Koch zu werden. Daran arbeite ich», sagt Stefan Tabanyi selbstbewusst. Vielleicht ist ja sein Rezept vom orientalisch überbackenen Zanderfilet der Startschuss dazu. Für die Zander-Panade verwendet er Koriandersamen, Mandeln, Haselnuss, Ingwer, Eigelb, Salz, Pfeffer und Olivenöl. Sein Patron Hugo Buser, der erfolgreich 13 Jahre lang die Veronica im Rheinbad Breite führte und nun innert kürzester Zeit den serbelnden Ackermannshof zur erfolgreichen Brasserie Hugo getrimmt hat, fördert Stefan Tabanyi, indem er ihm Verantwortung überträgt. Das hat sich bereits im Restaurant Veronica bewährt –  und das zahlt sich heute in der pulsierenden Küche der Brasserie Hugo aus.

Das Alter 31
Die Stellung Chef de Partie
Das Restaurant Urbane, stilsichere Architektur mit zeitgenössischer Küche
Das Gericht Orientalisch überbackenes Zanderfilet an einer Limettensauce mit Süsskartoffelpüree
Kochen ist Alles
In der Freizeit Freundin mit neuen Gerichten überraschen, Velo fahren, schwimmen, wandern, Länder bereisen
Die Zukunftspläne Die Brasserie Hugo als «Place to be» etablieren und zu einem späteren Zeitpunkt das eigene Lokal auf Ibiza eröffnen. 
Die Lebensphilosophie  Glaube an dich und zweifle überlegt

 

Orientalisch überbackenes Zanderfilet an einer Limettensauce mit Süsskartoffelpüree von Stefan Tabanyi, Brasserie Hugo
Stefan Tabanyi
Steven Moy
Fisch-Capuns vom Hecht aus dem Bielersee an einer Safransauce von Steven Moy, Gheimtipp
Imanol Alves Merayo
Carpaccio vom Papada de Cerdo mit gebratenem Pulpo, Süsskartoffelpüree mit Chili und Pimenton-Öl von Imanol Alves Merayo, Auberge de la Croix Blanche
Benoît Waber (l.) und Léonard Gamba
Pfifferlinge à la Plancha – Wachtelei – Vinaigrette – Blumenkohlpüree - Petersilienschaum von Benoît Waber und Léonard Gamba, Café de la Fonderie

Ist, was er immer sein wollte: Steven Moy
Steven Moy bewundert die Spitzenköchin Tanja Grandits wegen ihres gekonnten Zusammenspiels von Aromen, Gewürzen und Kräutern, wegen ihrer Disziplin und ihres Willens. «In meiner Ausbildung zum Koch wurde mir bewusst, dass nur Disziplin der Grundstein zum Erfolg sein kann», sagt Moy, der im Traditionsbetrieb Räblus am Bielersee seine Ausbildung absolvierte. Es ist kein Widerspruch, wenn Salz & Pfeffer einen 32 Jahre alten Koch zum Talent kürt, zumal er den Beruf Koch auf dem zweiten Bildungsweg erlernt hat.

Heute kocht Steven Moy im Restaurant Gheimtipp allein, frei von der Leber weg und nach Lust und Laune. Ohne Vorgaben, Vorschriften und Einengungen. Mit seinem Geschäftspartner und Gastgeber Beat Wyss, der in der Region aus seiner langjährigen Zeit im Bären in Buchsi (Münchenbuchsee) bekannt ist, bespricht er sich gerne, welches Menü er am Mittag und am Abend umsetzen will. Es kann aber auch sein, dass er beim Einkauf auf dem Markt seine Menüvorstellung kurzfristig über Bord wirft und das kocht, was ihm die Bauern à la minute verkaufen. Er kocht gerne mit lokalen und regionalen Ingredienzen, was der Hecht aus dem Bielersee verdeutlicht. Steven Moy lebt seinen Traum. «Es scheint, dass ich zum Koch geboren wurde und heute das bin, was ich schon immer sein wollte: ein Koch, der nie stehen bleibt», sagt er. Wenn das keine Ansage ist.

Das Alter 32
Die Stellung Alleinkoch
Das Restaurant Der Gheimtipp empfängt seine Gäste mit aussergewöhnlichem Essen in einem aussergewöhnlichen Lokal
Das Gericht Fisch-Capuns vom Hecht aus dem Bielersee an einer Safransauce
Kochen ist Kreieren, Entdecken, Erleben, Verwöhnen, Leidenschaft
In der Freizeit Gemeinsam unterwegs mit Lebenspartnerin und Tochter, allein en route mit dem Bike
Die Zukunftspläne Im Gheimtipp Gas geben
Die Lebensphilosophie

Never give up


Spanien gehört zu seinem Alltag: Imanol Alves Merayo
Die Schule war für Imanol Alves Merayo nicht langweilig, aber sehr theoretisch. Viel lieber steht er am Herd und kocht. In seinem Ausbildungsbetrieb, im Hotel Conde Luna in Castilla y Leon, hat ihn ein junger Küchenchef ausgebildet, der nicht mit Messern und Pfannen nach seinen Lehrlingen warf, sondern mit ihnen ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, was bis heute in diesem Metier nicht zwingend zur Tagesordnung gehört. Bei ihm hat Merayo gelernt, organisiert zu arbeiten und in der Hektik die Ruhe und den Überblick zu bewahren. Auch am Hochzeitstag des Hoteldirektors, an dem Imanol Alves Merayo während zweier Tage für 600 Gäste mitgekocht hat. «Beeindruckt haben mich die Leistungen der Kochbrigaden, der logistische Aufwand, das ganze Drum und Dran, und vor allem, wie alles wie am Schnürchen funktionierte», sagt der junge Koch, für den Organisation noch heute sehr wichtig ist.

«Arno Abächerli ist im Umgang mit seinen Mitarbeitern mehr Freund als Chef. Er ist eine natürliche Autorität, das Arbeitsklima ist sehr angenehm», sagt Merayo. Sein Heimatland Spanien gehört auch in der Schweiz zu seinem Alltag. Mit Gerichten in der Küche oder vor dem TV. «Ich sehe mir im spanischen Fernsehen oft Kochsendungen von Sterneköchen oder von jungen Talenten an. Das inspiriert mich in meiner Arbeit, und manchmal setze ich das Gesehene nach meinem Gusto um.» Kopieren, geht das denn? «Ich kopiere ja nicht, sondern lasse mich inspirieren. Das Ganze ist jeweils mit einer grossen Tüftelei verbunden, was dauert, aber zugleich viel Freude bereitet», sagt Merayo. So schmeckt auch sein Gericht: ein Carpaccio von der Schweinebacke mit gebratenem Pulpo und einem Süsskartoffelpüree. Übrigens: Das Talent zum Kochen hat er von seiner Mutter und seiner Grossmutter geerbt. Beide sind hervorragende Köchinnen. «An den Wochenenden kochte die Oma immer für die ganze Familie, und ich half ihr dabei sehr gerne. In der Küche zu stehen, hat mir schon als kleiner Junge gefallen und gefällt mir heute mehr denn je.»

Das Alter 27
Die Stellung Souschef
Das Restaurant Kalbskopf oder frische Gänseleber, Holz oder Damast, Bourgeoisie oder Gourmet – die Auberge de la Croix Blanche ist in beiden Ligen zu Hause
Das Gericht Carpaccio vom Papada de Cerdo mit gebratenem Pulpo, Süsskartoffelpüree mit Chili und Pimenton-Öl
Kochen ist Freiheit mit unbegrenzten Möglichkeiten
In der Freizeit Unterwegs mit dem Tennisschläger, auf Reisen in der Schweiz oder im Kino
Die Zukunftspläne In der Auberge de la Croix Blanche bleiben, sich weiterentwickeln und eine Stage bei Martin Berasategui in San Sebastián absolvieren
Die Lebensphilosophie Vom Leben profitieren


Kochen sorgfältig, würzen subtil: Benoît Waber und Léonard Gamba
Restaurants mit Industriechic sind nichts Neues, und trotzdem ist die Atmosphäre im Café de la Fonderie in Fribourg speziell. Seine Patina ist nicht vergleichbar mit anderen Fabrikbeizen. Das Ganze versprüht natürlichen Charme, was auch mit der Unkompliziertheit und Herzlichkeit des Servicepersonals zu tun hat, das Lässigkeit nicht mit Nachlässigkeit verwechselt. Im Mai 2016 haben Benoît Waber und Léonard Gamba das Café übernommen, und seitdem brummt der Laden. Der Mittagstisch hält einige einfache Gerichte bereit, am Abend ziehen die Jungunternehmer alle Register. Ein Menü, fünf Gänge, die einfach zu lesen sind und in Geschmack, Präsentation und Aromen freudig überraschen. «Wir kochen sorgfältig und würzen subtil», sagt Waber. Das Ganze ist wohltuend auf den Punkt gebracht, die Gerichte überzeugen durch hochwertige Ingredienzen und setzen mit kleinen akrobatischen Spielereien kulinarische Akzente.

Waber und Gamba sind Quereinsteiger, der eine hat Politikwissenschaft studiert, der andere Betriebswirtschaft, und beide haben mit Bravour abgeschlossen. Das gastronomische Rüstzeug haben sie sich am Institut Paul Bocuse in Lyon (Waber) und an der Schule von Alain Ducasse in Paris (Gamba) geholt. Gut, ohne Talent und ohne Können geht es nicht. Benoît Waber hat schon früh zuhause zu kochen begonnen und eine Stage bei Frédérik Kondratowicz im Restaurant l’Hôtel de Ville Fribourg absolviert, sich also seine Sporen praktisch abverdient. Léonard Gamba wurden das Kochen und das Interesse am Genuss in die Wiege gelegt, mit einer kochaffinen Mama und einem japanischen Onkel. «Mein Onkel hat mich schon früh unter seine Fittiche genommen und in die Aromenwelt der japanischen Küche eingeführt», sagt Gamba. Das sind alles beste Voraussetzungen für eine nachhaltige Erfolgsgeschichte. Wir sind gespannt.

Das Alter 27 (Waber), 25 (Gamba)
Die Stellung Chef de Cuisine und Co-Gérant (Waber), Gastgeber und Co-Gérant (Gamba)
Das Restaurant Die kreative Küche und die Luftigkeit der Fabrik widerspiegeln die Leichtigkeit des Seins
Das Gericht Pfifferlinge à la Plancha – Wachtelei – Vinaigrette – Blumenkohlpüree – Petersilienschaum
Kochen ist Passion (Waber) und Emotion (Gamba)
In der Freizeit Lesen die beiden viele Kochbücher, kochen für Freunde und Familie und gehen auf ihren     Reisen den Genüssen nach
Die Zukunftspläne Ihre Betriebe Ben & Léo und La Cintra nachhaltig erfolgreich führen
Die Lebensphilosophie  Das Leben leben und dort ändern, wo es notwendig wird (Waber) Das Leben in all seinen Facetten bei der Arbeit, in der Freizeit, mit Freunden und der Familie geniessen (Gamba)

Hotel Postigliun, Via Principala 19, 7159 Andiast, 081 941 10 33, www.postigliun-andiast.ch
Brasserie Hugo, St.-Johanns-Vorstadt 19, 4056 Basel, 061 313 65 65, www.brasserie-hugo.ch
Gheimtipp – der Essbahnhof, Alte Bahnhofstrasse 28, 3297 Leuzigen, 032 530 47 14, www.gheimtipp.ch
Auberge de la Croix Blanche, Route de Donatyre 22, 1583 Villarepos, 026 675 30 75, www.croixblanche.ch
Ben & Léo – Café de la Fonderie, Route de la Fonderie 11, 1700 Fribourg, 026 301 20 33, www.benandleo.ch



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