Dinner per Mausklick

In der Gastronomie wächst der Markt für Heimlieferservice. Laufen Kuriere Restaurants den Rang ab? Sicher ist, dass sie an Bedeutung gewinnen werden – und es noch viel zu holen gibt. Auch für die Gastronomen.
Text: Virginia Nolan – Illustrationen: Michael Raaflaub
Veröffentlicht: 04.02.2019 | Aus: Salz & Pfeffer 1/2019

Eine Partnerschaft mit dem Lieferdienst bringt zehn bis 50 Prozent mehr Umsatz.

Der Konsument von heute mags bequem: Warum einkaufen gehen, wenn die Ware per Mausklick kommt? Wir bestellen nicht nur Mode, Bücher und Gadgets, sondern immer öfter auch fixfertiges Essen nach Hause – dies allerdings meist noch per Telefon, wie eine Studie des Unternehmensberaters McKinsey zeigt.

Sie beziffert den Markt für Essenskuriere auf weltweit 83 Milliarden Euro und geht davon aus, dass die Sparte bis 2021 jährlich 3,5 Prozent zulegen wird. Erhebungen für den Schweizer Markt zeigen, dass es hierzulande bis zu zehn Prozent sein dürften.

Über eine Milliarde Umsatz
«Für den Konsumenten stellt sich die Frage, warum er das Haus verlassen soll, wenn er sein Essen daheim geniessen kann», sagt Christine Schäfer, Food-Trendforscherin am Gottlieb Duttweiler Institut. Heimlieferdienste, da ist Schäfer sich sicher, werden eine immer bedeutsamere Alternative zur traditionellen Gastronomie. Dafür spricht auch der Geschäftsgang von Eat.ch, dem Branchenschwergewicht mit über 2000 Restaurants im Portfolio.

«Wir verdoppeln uns jährlich», sagt Dominic Millioud, Managing Director Schweiz des im Jahr 2007 gegründeten Unternehmens, das seit 2015 der britischen Gruppe Just Eat angehört. Smood.ch, Marktführer in der Westschweiz, verzeichnet seit seiner Gründung 2013 ein jährliches Wachstum von 200 Prozent. «Jeden Monat kommen 40 neue Restaurants dazu», so CEO Marc Aeschlimann. Mosi.ch, der Schweizer Food-Lieferdienst erster Stunde, lässt sich nicht in die Bücher blicken, ist aber laut Miteigentümerin Elizabeth Cummins «sehr zufrieden», was das Wachstum betrifft.

Eine Milliarde Franken setzten Gastrokuriere 2016 in der Schweiz um, das zeigt eine von Eat.ch in Auftrag gegebene Branchenstudie. «Mittlerweile», sagt Millioud, «sind es rund 1,3 Milliarden.» Fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung hat sich besagter Analyse zufolge bereits einmal Essen nach Hause bestellt. Rund 17 Prozent setzen demnach ein- bis zweimal im Monat auf diesen Service, drei Prozent mehrmals die Woche und 38 Prozent sehr sporadisch.

Das Durchschnittsalter der Kunden liegt bei 41 Jahren, etwas mehr als die Hälfte davon sind Frauen. In der Regel bestellen zwei bis drei Personen gemeinsam, Essen scheint also auch für diese Zielgruppe ein sozialer Akt zu sein.

Selbst liefern oder auslagern?
Das Potenzial der Branche ist längst nicht ausgeschöpft – auch für Gastronomen nicht. Eine Partnerschaft mit dem Lieferdienst bringe dem Restaurant erfahrungsgemäss zehn bis 50 Prozent zusätzlichen Umsatz, sagt Millioud von Eat.ch.

Lieferdienste bieten Gastronomen unterschiedliche Kooperationsformen an. Bei der Basisvariante koordinieren sie die Bestellungen und platzieren den Betrieb und sein Angebot auf ihrer Internetplattform, über die Kunden per Mausklick oder Telefon bestellen können. Die Auslieferung des Essens organisiert der Gastronom selbst. Im Vollservicemodell hingegen nimmt ihm der Kurierdienst sowohl Bestellwesen als auch Logistik ab.

Ihre Preise nennen die Heimlieferdienste nicht öffentlich. Eine Nachfrage unter Beizern zeigt aber, dass die wichtigsten Player ähnliche Konditionen haben: Für die Vermittlungsarbeit zahlen Restaurants ihnen im Durchschnitt 15 Prozent pro Lieferung – gut 30 Prozent sind es, wenn der Kurier auch die Fahrt übernimmt. Einige Heimlieferdienste wie Mosi.ch bieten ausschliesslich diese Vollservicevariante an.

Suresh Kumar vom Restaurant Löwen in Worb beschäftigt selbst einen Fahrer. «Im vormaligen Betrieb hatte das der Kurier übernommen», sagt er. «Wir hatten öfter Reklamationen aufgrund von Verspätungen oder auch weil die Ware nicht ankam, wie sie sollte.»

Kumar hat den Löwen Ende 2018 um einen Lieferservice erweitert. «Die Kuriere in der Umgebung haben nur Pizza und Kebab im Angebot», sagt er, «da sehe ich für unsere Texmex-Küche eine Marktlücke.» Bis jetzt verzeichnet der Wirt zwei bis drei Lieferungen pro Tag, «Gewinn machen wir ab fünf.» Bisher ist der Löwen auf Takeaway.com präsent. Kumar sagt, er strebe auch eine Kooperation mit Eat.ch an, allein aufgrund der Reichweite der Internetplattform.

Vom Neben- zum Hauptgeschäft
Von dieser hängt nicht nur der Erfolg des Kuriers, sondern auch der seiner Partnerbetriebe ab. «In dieser Hinsicht hat Eat.ch die Nase vorn», findet Gastronomin Sabrina Marbacher. Als Partnerrestaurant profitiere man vom vergleichsweise intensiven Marketing, das die Plattform betreibe. Aktionen wie der Peppaward, mit dem Eat.ch die besten Lieferrestaurants der Schweiz auszeichnet, sind für das Unternehmen nicht nur PR in eigener Sache, sondern auch Wasser auf die Mühlen seiner Partnerbetriebe.

Marbacher betreibt in Zürich vier vietnamesische Restaurants, eines davon, das Saigon, mit Lieferservice. Dafür spannt sie sowohl mit Mosi.ch als auch mit Eat.ch zusammen. «Eat.ch ist der stärkere Kanal», sagt Marbacher, «dafür gibts über Mosi.ch weniger Reklamationen, weil das Essen im Auto transportiert wird und nicht auf dem Velo.»

Die Idee, die Auslieferung selbst zu organisieren, habe sie schnell wieder verworfen. «Der Zusatzaufwand wäre enorm», sagt Marbacher. «Das Liefergeschäft macht im Saigon je nach Wetter fünf bis zehn Prozent des Umsatzes aus. Das ist ein schöner Zustupf, unser Kerngeschäft bleibt aber das Restaurant.»

Ähnlich sieht es Samuel Bürgi vom Thai-Restaurant Boo am Messeplatz in Basel. «Wir nutzen den Lieferservice hauptsächlich dazu, um Flauten abzufedern», sagt er. «Am Wochenende zum Beispiel läuft im Restaurant vor acht Uhr abends nicht viel. Dafür trudeln ab sechs die Heimbestellungen ein.» Die Logistik überlässt Bürgi dem Kurier. «Der Lieferservice», sagt er, «bringt uns täglich 20 bis 40 zusätzliche Bestellungen ein. Das ist ein attraktiver Nebenerwerb.»

Am Limit
Im Thai-Restaurant Sweet & Sour in Kilchberg sind Heimlieferungen derweil zum Hauptgeschäft avanciert. Sie steuern mittlerweile 70 Prozent des Umsatzes bei. «Die Leute gehen zum Essen immer weniger aus», sagt Inhaber Johnny Cherevatyi. Je nach Wochentag beschäftigt er sechs bis acht Fahrer.

Der Wirt arbeitet mit Eat.ch zusammen, das Portal bringe ihm gut 20 Prozent Neukunden pro Monat. Für ihn als Gastronomen sei Heimlieferdienst interessant, weil er zusätzliche Absatzmöglichkeiten, demgegenüber aber keine Kosten im Service und kaum Mehraufwand für die Küche generiere: «Wenn wir ohnehin am Produzieren sind, kommts nicht darauf an, ob es zehn oder 20 Gerichte werden.»

Cherevatyi führt auch das in Kilchberg beheimatete Casa Loca. Dort verzichtet er auf einen Lieferservice: «Wir würden uns schlichtweg übernehmen.» Schon im Sweet & Sour komme er oft ans Limit. Wenn das Restaurant voll sei, müsse er das Liefergeschäft für ein paar Stunden einstellen. «Das geht einfach per Mausklick», sagt Cherevatyi, «tut aus finanzieller Sicht aber weh.»

Im Luzerner Restaurant Kränzlin liess der Heimlieferdienst die Küche aus allen Nähten platzen. Mit italienischen Spezialitäten und Schweizer Klassikern wie Cordon bleu traf Wirt Müslüm Karakoc nicht nur den Geschmack seiner Stammgäste, sondern offensichtlich auch den der Kurierkunden.

Im vergangenen Herbst kürte Eat.ch das Lokal zum besten Lieferrestaurant der Zentralschweiz. «Dann explodierte die Nachfrage», sagt Karakoc. «Bald kamen die ersten Reklamationen, weil wir nicht mehr nachkamen.» Karakoc stellte den Betrieb ein und beschloss, ihn an neuer Adresse auferstehen zu lassen.

Im März feiert das Kränzlin beim Luzerner Bahnhof Wiedereröffnung. Nicht nur der Platz in der Küche, auch das Personal wurde verdoppelt. «In Luzern bestellen die Leute wie verrückt», sagt Karakoc. «Das Potenzial für uns ist riesig, weil die anderen Kuriere hauptsächlich Pizza, Burger oder Kebab anbieten.»

Was Kunden wollen
Pizza ist der Kassenschlager der Kuriere. 83 Prozent der Kunden bestellen am liebsten den italienischen Klassiker, gefolgt von Döner (22 Prozent) und chinesischem Essen (21 Prozent). Das grösste Wachstum sieht die Studie aber anderswo: Immer stärker zeige sich der Trend zu Schweizer Spezialitäten – mit dem Cordon bleu als Topfavoriten. Ausserdem seien die thailändische sowie die «gesunde» Küche mit Salaten oder Wraps stark im Kommen.

Lohnt es sich für jeden Betrieb, ins Liefergeschäft einzusteigen? «Grundsätzlich ja», ist Millioud von Eat.ch überzeugt. «Vom Kettenrestaurant bis zur Kleinbeiz kann jeder profitieren.» Und zwar nicht nur in den Städten, wie besagte Marktanalyse zeigt: Mehr als die Hälfte aller Bestellungen trifft aus ländlichen Gegenden ein. «Natürlich gibt es Lagen, wo unsere Flotte nicht hinreicht und Restaurants den Transport selbst stemmen müssen», sagt Millioud, «doch selbst da lohnt es sich, über Lieferservice nachzudenken – die Nachfrage ist definitiv da.»

www.eat.ch
www.mosi.ch
www.smood.ch



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