Gottes Stellvertreter

Coole Köche treffen auf spektakuläres Ambiente. Mit dieser Formel ist das «The Jane» zu einem der meistgebuchten Lokale Europas geworden. Aber taugt die umgebaute Kapelle als Prototyp der Gastronomie von morgen?
Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Eric Kleinberg
Veröffentlicht: 08.12.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 6/2016
Das spektakuläre Ambiente trägt zur Popularität des Restaurants bei.

«Mag man anderen Lokalen vorwerfen, dass sie herumeiern, hat «The Jane» eine Handschrift gefunden.»

Es sollte zur Pflicht gemacht werden, Restaurants zu Fuss anzusteuern. Vielleicht nicht die komplette Strecke, aber doch den letzten, den entscheidenden Teil. Man bekommt treffliche Einblicke ins Umfeld, nimmt den Kontext wahr, weiss mehr. Erst recht in Antwerpen, einer Stadt mit vielen unterschiedlichen Vierteln, mit Flair. Schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren in der Diamantengasse, den nahegelegenen Park teilen sich Jogger und Obdachlose, orthodoxe Juden eilen durch das «Jerusalem des Nordens». Sieht man keine Schläfenlocken mehr, flaut das Jiddisch ab, ist man da. Aber wo? Ein ehemaliges Militärkrankenhaus, umgebaut zu einem Wohnkomplex. Mittendrin, irgendwo, die Kapelle, die keine Kapelle mehr ist. Gott ist ausgezogen, Sergio Herman kam.

Doch der Anbetungswürdige, der in seinem Drei-Sterne-Restaurant Oud Sluis jahrelang für Verzückung sorgte, jenseits der Grenze, in den Niederlanden, scheint nicht da. Angebetet werden kann allenfalls Nick Bril, der coole Statthalter des grossen Patrons, auch wenn es der nicht so mit dem Rauskommen zu haben scheint. Überhaupt sei ja manches anders im «Jane» als in üblichen Lokalen, heisst es. Tatsächlich. Man sei mittags und abends ausgebucht, erklärt Chef Bril, der dann doch kurz Auskunft gibt. Fülle will was heissen in einem Restaurant, in dem man problemlos eine halbe Kompanie gleichzeitig unterbringen könnte. Kunden, welche die Tretmühle der Reservierung bewältigt haben, sollten sich glücklich schätzen. Einfach anrufen und bestellen geht nämlich nicht, die Website listet einen ganzen Katalog von Regeln und warnt ausdrücklich davor, diese zu umgehen. «Ausnahmen werden nicht gemacht.» Also muss sich jeder, sofern alle regulären Tische gebucht sind, auf die Warteliste setzen lassen und jenem glücklichen Moment harren, in dem das Telefon klingelt. Vielfach indes leuchtet nur ein roter Punkt im Reservierungssystem, dann hilft auch dieser Trick nicht mehr. Vielleicht probieren es ganz Ungeduldige ja mit Beten.

Faszination mit Nostalgie
Doch was ist es, was die Menschen so fasziniert? Zuallererst das Ambiente, die spektakulären Ein- und Umbauten, die Küche im Chor, in die man hineinschauen kann, die Beleuchtung. Faszinierend sind aber auch die Preise, denn von einem Zwei-Sterne-Restaurant erwartet man automatisch Teureres als jene 100 Euro, die ein Essen bei Bril kostet. In der allerumfangreichsten Menü-Variante wären es knapp über 140, aber auch das ist ja freundlich. Manche erwarten im Gegenzug, vielleicht eine Antwort zu finden auf die bohrende Frage, wie Restaurants von morgen aussehen, wie man auch im Jahr 2020 erfolgreich wird Gastronomie betreiben können. Vielleicht tatsächlich genau so: ungewöhnliche Location, wenig Auswahl, viele Menschen. Die Masse machts. Eine, die freilich zu Engpässen führt.

Kochlegende Sergio Herman (links) und sein Statthalter Chef de Cuisine Nick Bril

Kurz nach zwölf herrscht das grosse Ankommen, die kleine Rezeption ist umlagert, man wartet auf einen Platz auf der Apéro-Terrasse, sucht die Toiletten (im Untergeschoss, wo sonst?), besichtigt die «The Upper Bar» auf der Empore. Weil «The Jane» eben «The Jane» ist, nimmt das keiner krumm. Und alle finden es charmant, dass der Champagner in eine Sektschale gegossen wird; es ist ein eher langweiliger Champagner, der nicht zum coolen Image des Hauses passt, den wir aber, man fragt sogar, auch in einem anderen Glas bekommen hätten. Zum Erfolg gehört offenbar, aller Avantgarde zum Trotz, ein Schuss Nostalgie. Oder ist Nostalgie die eigentliche Avantgarde? Während wir überlegen, kommen die Häppchen. Schnell getaktet, aber nicht so schnell, wie es in den meisten skandinavischen Gourmettempeln und -kirchen üblich ist. Erbsentörtchen mit Salsiccia und Parmesan, Hering mit Randen und Apfel, eine kecke Bloody Mary. Schon hier merkt man, dass es Nick Bril und Team nicht in erster Linie um Provokation geht, sondern um Frische.

It’s the acidity, stupid!
Eine veritable Furcht vor Mächtigkeit scheint sogar zu herrschen im flämischen Trendlokal, kein Gang verlässt die Küche ohne die rechte Portion Säure. Muscheln mit Gurken und Dill, Lachs mit Joghurt und Dashi, eine wunderbare Auster mit thailändischem Salat: Mag man anderen Lokalen vorwerfen, dass sie herumeiern, hat «The Jane» eine Handschrift gefunden. Eine, die sich durchzieht bis zu Fisch und Fleisch. Schweinebauch mit Schnecken und Carbonara-Jus lässt Bril ankündigen, einen Gang, der noch nicht im aktuellen Menü stünde. Ob wir trotzdem kosten wollen? Her damit. Und auch das Extra-Stück vom Txogitxu-Beef lassen wir nicht zurückgehen. Mit Aubergine, schwarzem Knoblauch, Knochenmark und, na klar, Vinaigrette. Ein bisschen Säure hilft der fetten alten Kuh gigantisch auf die Sprünge.

Hardcore-Avantgardisten würden nun einwenden, dass baskisches Spezial-Rind schon vor drei Jahren gehypt wurde und heute gar nicht mehr so neu und spektakulär ist wie damals. Aber wenn man eines lernen kann vom «The Jane», dann dieses: Ein bisschen Spektakel genügt, zu viel hat oft den gegenteiligen Effekt. Service und Getränke sind auch nicht sonderlich auf Drama gebürstet. Nach dem Einstiegsschock mit der Sektschale kommen die Weine nicht etwa in Zahnputzbechern, sondern in ganz normalen, stilvollen Weingläsern. Auf die Idee, zum Fleisch belgisches Bier zu geniessen, kommen wir selbst, die meisten Gäste scheinen önologischen Konventionen gewogen. Auf dem Etikett des IPA räkelt sich eine gezeichnete nackte Frau, unwillkürlich schauen wir nach dem Beichtstuhl. Doch halt: Ausschweifend gesündigt wird ja eigentlich gar nicht im «The Jane». Nur entspannt genossen, frisch und geradlinig und erschwinglich. Wenn die Zukunft der Gastronomie so aussieht, ist alles gut.

Das Restaurant The Jane kann man mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder binnen fünf Minuten mit dem Taxi ab Bahnhof Antwerpen Centraal erreichen, sollte es aber nur im Notfall tun. Lieber wandert man 30 Minuten hinaus, später wieder hinein in die Stadt, besucht nach dem Essen noch das lebendige Hafenviertel. «Upper Room Bar» heisst die Alternative zum Kirchenraum. Auf der Empore werden spannende Cocktails und ausgefeilte kleine Gerichte serviert. Zumindest mittags ist hier manchmal noch kurzfristig ein Platz zu bekommen – aber verlassen kann man sich darauf nicht.

Das Lokal ist sonntags und montags geschlossen und sonst mittags und abends geöffnet. Für ein Menü mit Weinbegleitung sollte man zwischen 160 und etwas mehr als 200 Euro kalkulieren.

The Jane, Paradeplein 1, 2018 Antwerpen, Belgien, +32 380 844 65
www.thejaneantwerp.com 



Seite teilen

Bleiben Sie auf dem Laufenden – mit dem kostenlosen Newsletter aus der Salz & Pfeffer-Redaktion.

Salz & Pfeffer cigar gourmesse