Visualisierung des Unsichtbaren

Service-Design? Klingt spannend, aber was ist das? Und inwiefern eignet sich der Ansatz für Dienstleister wie Gastronomen und Hoteliers in der Praxis? Dozent und Forscher Emmanuel Fragnière von der Hes-so Wallis gibt Antwort.
Interview: Sarah Kohler – Fotos: Tina Sturzenegger / z. V. g.
Veröffentlicht: 23.11.2016 | Aus: Salz & Pfeffer 7/2016

«Wer in der Rolle des Kunden steckt, erfährt am eigenen Leib, wie sich dieser fühlt.»

Seit einigen Semestern können die Studenten am Studiengang für Tourismus der Hes-so Wallis das Wahlmodul Service-Design belegen. Sie lernen, wie man eine Dienstleistung bewusst konzipiert oder modifiziert. Nun hat die Schulleitung in Siders beschlossen, den Kurs im Grundstudium obligatorisch zu machen – mit dem erklärten Ziel, durch die fürs Thema sensibilisierten Absolventen die Dienstleistungen im Tourismus «markant» zu verbessern. Zudem übernimmt das Institut Mandate von Betrieben, die eine Dienstleistung mittels Service-Design neu schaffen oder verbessern möchten.

Lassen Sie uns das Grundsätzliche klären: Was genau steckt hinter der Service-Design-Methode?
Emmanuel Fragnière: Tatsächlich gibt es diverse Methoden. Wir setzen auf eine sehr praxisnahe Variante und orientieren uns stark an den Bedürfnissen der Kunden. Wie diese eine Dienstleistung wahrnehmen, ist in der Service-Design-Theorie sehr wichtig. Unsere Methode basiert auf vier Schritten. Wir erfassen die Situation, wir stellen sie schematisch dar, wir erarbeiten in Rollenspielen mit einem professionellen Regisseur Lösungswege und wir implementieren die erarbeitete Lösung in den Betrieb.

Zentraler Punkt ist das Rollenspiel. Warum?
Weil es zu den eigentlichen Ideen und Lösungen führt. Die Interviews, Beobachtungen und Analysen können eine Dienstleistung schon gut visualisieren, was aber noch fehlt, ist das Einfühlungsvermögen der Beteiligten gegenüber dem Kunden. Indem wir den Service auf die Bühne bringen, fördern wir das Verständnis: Wer in der Rolle des Kunden steckt, erfährt am eigenen Leib, wie sich dieser fühlt. Das bringt mehr als blosses Überlegen; es braucht das Setting, die verschiedenen Rollen, den Perspektivenwechsel, die Wiederholung, bis man einen Ansatz findet, der passt. Service- Design ist wie Musik: Man muss üben, damit es gut wird.

Und was hat Service-Design mit dem Alltag in einem Restaurant oder Hotel tatsächlich zu tun?Denken wir an den berühmten Schweizer Hotelier César Ritz, den Erfinder der Luxushotellerie, dem man einige grundlegende Innovationen zuschreibt. Er hatte die Idee, anstelle von Gemeinschaftsbädern private Badewannen in den Zimmern anzubieten. Ritz verstand die Bedürfnisse der Gäste, und durch seine Gabe, die Dinge aus der Sicht der Kunden zu sehen, steigerte er deren Zufriedenheit. Genau darum gehts beim Service- Design: einfach in Bezug auf Dienstleistungen. Wir möchten den Studenten und Akteuren in der Branche Tools auf den Weg geben, um kreativ und innovativ mit Dienstleistungen umzugehen.

Tools?
Wissen Sie: Die grossen Unternehmen der Tourismusindustrie haben eigene Abteilungen fürs Service-Design, in denen sie an ihren Dienstleistungen forschen. Aber touristische Kleinbetriebe brauchen einfache, gut umsetzbare Ansätze, um ihre Leistungen zu verbessern. Da können wir helfen: Unser Institut übernimmt Mandate – zum Teil auch unter Einbezug der Studenten – für Betriebe, die eine konkrete Dienstleistung gestalten möchten, und rüstet die Teilnehmer mit dem Service-Design-Werkzeug aus, das sie künftig brauchen.

Emmanuel Fragnière

Was heisst das konkret?
Wir hatten zum Beispiel einen Mandanten, der mit der Service-Design-Methode die Leistungen an seiner Hotelrezeption verbessern wollte. Gemeinsam mit ihm und dem Team spielten wir den Prozess in vier Schritten sauber durch. Nun startete der Mandant in der Zwischenzeit bereits einen zweiten Durchlauf. Er setzt die Methode nun selbstständig ein, um mit seinem Restaurant den zweiten Michelin-Stern zu holen. Wenn man mal weiss, wies funktioniert, ists gar nicht so komplex.

Wie steht es Ihrer Meinung nach generell um die Schweizer Servicequalität?
Da sehe ich Arbeit vor uns liegen. Ich halte die Serviceleistung hierzulande nicht für wahnsinnig gut. Wir haben eine sehr gute Reputation im Ausland, aber wir sollten verstehen, dass der Wettbewerb hart ist, und uns bewusst sein, dass wir nicht die Besten der Welt sind. Wir müssen uns neu erfinden: Gerade mit dem hiesigen Preisniveau brauchen wir das gewisse Extra. Ich wünsche mir, dass die Schweiz wieder zum Labor wird, in dem am Service geforscht und er weiterentwickelt wird.

Ein erster Schritt ist die Ausbildung des Nachwuchses. Bei Ihnen am Studiengang wird Service-Design zum Pflichtfach im Grundstudium, im Hauptstudium können sich die Studenten darauf spezialisieren.
Ja, weil Service-Design im Tourismus ein so wichtiges Thema ist. Wir geben den jungen Touristikern im Kurs den Anstoss, ausserhalb der Konventionen zu denken. Die Technik, die wir lehren, ist eine Geisteshaltung, eine Kompetenz, die man erwirbt, um sie kontinuierlich auf Dienstleistungen aller Art anzuwenden. Im Februar kommen die ersten Absolventen auf den Arbeitsmarkt, die das Fach fakultativ belegten. Ich hoffe, dass man das in einigen Jahren in der Branche spüren wird. Es braucht so viele Service-Design-Profis wie möglich, die das Konzept und das Bewusstsein in die Welt tragen, um es zu verankern. Service-Design ist unvermeidlich.

Hes-so Wallis,
Institut für Tourismus, Techno-Pôle 3, Postfach 80, 3960 Siders, 027 606 90 97, www.hevs.ch/ito

 

Service-Design: das Konzept

Wenns darum geht, ein Sportschuhmodell oder ein Möbel zu entwerfen, ist der Designer König. Wenns indes darum geht, einen neuen Service zu kreieren, herrscht Ratlosigkeit und vieles bleibt dem Zufall überlassen. Verfechter der Service-Design-Theorie halten allerdings fest, dass auch der (unsichtbare) Service ein Produkt ist, das man konzipieren kann – und soll. Die Methode, die dafür am Institut und am Studiengang für Tourismus der Hes-so Wallis gelehrt wird, mag erst abstrakt und komplex wirken, soll in der Umsetzung aber besonders praxisnah sein: nicht zuletzt, weil sie Wissenschaft und Theatertechnik und damit Systematik und Intuition auf einzigartige Weise verbindet. Die Service-Design-Methode basiert auf vier Schritten:

Ethnografie: In (nicht standardisierten) Interviews, durch Beobachtungen, allenfalls mit sozialen Experimenten kommt man den Bedürfnissen auf die Spur: Das «Problem» wird erfasst.

Blueprinting: Der Dienstleistungsprozess (Workflow mit allen beteiligten Akteuren) wird schematisch dargestellt: Die Serviceerfahrung wird standardisiert bezeichnet.

Rollenspiel: Im Rollenspiel unter der Regie einesTheaterprofis bekommen die Teilnehmerdes Service-Design-Prozesses eine Ahnung der Wirklichkeit und erarbeiten konkrete Lösungsideen: Die Realität wird abgebildet.

Umsetzung: Die in den vorhergehenden Schritten erarbeitete Lösung wird in den Betrieb integriert.



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